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Pitaval / Causes célèbres

Stand 1. Oktober 2022

engl. pitaval (causes célèbres, famous trials), frz. causes célèbres

Bezeichnung für eine literarisch gestaltete Sammlung berühmter Rechtsfälle. Während in der deutschen Sprache ‚Pitaval‘ als Ableitung vom Namen des Autors der ersten Sammlung, François Gayot de Pitaval, dominiert, schreiben sich französische Sammlungen durch Zitation der Titelformulierung Causes célèbres in dieselbe Tradition ein. Ursprünglich steht die Gerichtsverhandlung, repräsentiert durch teils authentisches Aktenmaterial, im Zentrum jener Erzählungen, die das Gros der Sammlungen ausmachen (Pitavalgeschichte). Jüngere Adaptionen verwenden den Begriff mitunter auch für die Sammlung von Kriminalfällen, in denen die Beschreibung von Tat und Täter*in, der psychologischen Motivation oder der milieubezogenen Erklärung des Verbrechens an die Stelle des anwaltlichen Wirkens tritt. Die Rezeption reicht bis in die Gegenwart und umfasst auch Verfilmungen (Fernsehpitaval).

1. Causes célèbres et intéressantes Gayots de Pitaval

1.1. Das Spektrum der erzählten Rechtsfälle

1.2. Das intendierte Publikum

1.3. Gayots Rechtfertigung des Begriffs ‚ cause ‘ anstelle von ‚ procès ‘

2. Causes célèbres -Sammlungen in Frankreich

2.1. François Alexandre Garsault: Faits des Causes célèbres (Amsterdam 1757)

2.2. Jean-Claude De La Ville: Continuation des Causes Célèbres et Intéressantes (Paris 1766–1770, 4 Bände)

2.3. Robert Estienne: Causes amusantes et connues (1769–1770, 2 Bände)

2.4. François Richer: Causes célèbres et intéressantes (Amsterdam 1772–1788, 22 Bände)

2.5. Nicolas-Toussaint Le Moyne Des Essarts und François Richer: Journal des Causes célèbres, curieuses et intéressantes (Paris 1772–1789, 179 Bände)

2.6. P. F. Besdel: Abrégé des Causes Célèbres et Intéressantes (Paris 1773–1784, 3 Bände)

2.7. Maurice Méjan: Recueil des causes célèbres, et des arrêts qui les ont décidées (Paris 1807–1814, 19 Bände)

2.8. Pierre Joseph Alexis Roussel und Philippe Aristide Louis Pierre Plancher de Valcour: Annales du Crime et de l’Innocence (Paris 1813, 20 Bände)

2.9. Saint-Edme [d. i. Edme-Théodore Bourg]: Répertoire général des causes célèbres françaises, anciennes et modernes (Paris 1834–1835, 14 Bände)

2.10. Armand Fouquier: Causes Célèbres de Tous Les Peuple s (Paris 1858–1864/1874, 8 Bände)

2.11. Albert Bataille: Causes criminelles et mondaines (Paris 1881–1898, 18 Bände)

3. (Auswahl-)Übersetzungen ins Deutsche

3.1. Anonyme Übersetzung: Erzählung sonderbarer Rechtshändel, sammt deren gerichtlichen Entscheidung im Kiesewetter-Verlag (Leipzig 1747–1750/1767, 9 Bände)

3.2. Carl Wilhelm Franz: Sonderbare und merkwürdige Rechtsfälle (Jena 1782–1792, 4 Bände)

3.3. Friedrich Schiller (Hg.): Merkwürdige Rechtsfälle als ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit (Jena 1792–1795, 4 Bände)

3.4. Wilhelm Häring und Julius Eduard Hitzig: Der neue Pitaval (Leipzig 1842–1890, 60 Bände)

Quellen

1. Historische Quellen

2. Moderne Publikationen

Zitationsvorschlag

1. Causes célèbres et intéressantes Gayots de Pitaval

Gayots zwanzigbändige Sammlung erscheint erstmals zwischen 1734 und 1743 in Paris. An der Publikation der Erstdrucke sind mehrere Verlage parallel beteiligt. Denn die Offizin der Witwe Delaulne teilt ihr Druckprivileg mit Guillaume Cavelier, Theodore Le Gras und Jean de Nully (vgl. Cavelier, erw. Aufl., Bd. 1, 1735, [xxviij]; Mazzacane 2003, 58, Anm. 10). Die Überlieferungslage gestaltet sich durch das rasche Erscheinen veränderter Neuauflagen indes kompliziert. Für die prominente Geschichte um die Giftmörderin, die berüchtigte Marquise de Brinvilliers, gibt es so bereits innerhalb der Pariser Frühüberlieferung zwei verschiedene Fassungen. Nur eine enthält die Briefe der berühmtesten Zeitzeugin, der Marquise de Sévigné.

Eine erweiterte Neuausgabe der Sammlung bringt Jean Neaulme von Den Haag aus in mehreren Auflagen auf den Markt (1735–1745, 22 Bände). Völlig eigenständig ist dabei allerdings nur der elfte Band. Hier druckt Neaulme 1738 den Traité de la dissolution du mariage pour cause d’impruissance ab, auf den sich Gayot im zehnten Band der Pariser Ausgaben bezieht. Buchgeschichtlich ist von Interesse, dass die ersten beiden Neaulme-Bände jeweils ein Frontispiz enthalten (vgl. dazu Achermann 2023).

1.1. Das Spektrum der erzählten Rechtsfälle

Hans-Jürgen Lüsebrink hat ‚Pitavale‘ verschiedener Autoren quantitativ ausgewertet (vgl. Lüsebrink 1983, 112–125). Inhaltlich sind Mord und Totschlag bei Gayot weniger häufig. Dagegen lassen sich zahlreiche der gut 150 Fälle als Standes-, Erbschafts- und Heiratsstreitigkeiten klassifizieren, wodurch der zivilrechtliche Anteil überraschend groß ausfällt. Daneben hat ein Zehntel von Gayots Erzählungen verschiedene Formen von Sexualverbrechen zum Thema (speziell dazu Lüsebrink 1980).

Fast ausschließlich greift Gayot auf Prozesse zurück, die in Paris, Toulouse und an anderen französischen Parlements, also der französischen Höchstgerichtsbarkeit, geführt wurden. Nur wenige Fälle – wie diejenigen des russischen Kronprinzen Alexei Petrowitsch oder des spanischen Dom Carlos – sind im europäischen Ausland situiert. Dabei verwendet Gayot größtenteils berühmte Verhandlungen und Justizskandale des 17. und frühen 18. Jahrhunderts, gelegentlich auch des 16. Jahrhunderts. Im 15. Band rechtfertigt er die Mischung von „[l]es Causes Historiques“ und gegenwärtigen „Causes du Barreau“ insofern, als sein Werk auf diese Weise historisch und juristisch interessierte Rezipienten gleichermaßen befriedige (Gayot 1740, Bd. 15, ij). Spätere Adaptionen der Gattung konzentrieren sich dagegen auf aktuelle Fälle. So beträgt der Zeitraum zwischen historischem Geschehen und Erzählung in den Sammlungen des späten 18. Jahrhunderts nur wenige Jahre, teils lediglich Monate (vgl. Lüsebrink 1983, 129 f.). Die Grenze zur Gerichtsberichterstattung wird fließend.

Zu den bekanntesten und reich rezipierten Fällen aus Gayots Korpus zählen der Identitätsmissbrauch des falschen Martin Guerre, die brutale Ermordung der Marquise de Ganges, die Taten der Giftmörderin Marquise de Brinvilliers, der Rechtsfall des fälschlicherweise des Diebstahls beschuldigten und an den Folgen der Folter verstorbenen Sieur d’Anglade sowie der Hexereiprozess gegen den Priester Urbain Grandier im Zusammenhang mit den sogenannten ‚Teufeln von Loudun‘. Verglichen mit dem thematischen Spektrum von Gayots Korpus erweist sich die produktive Rezeption als ausgesprochen selektiv. Gerade die ursprünglich besonders prominenten Zivilprozessgeschichten finden kaum Nachahmer.

1.2. Das intendierte Publikum

Nach Gayots Vorrede zum ersten Band vereinen seine Causes gut horazisch Unterhaltung und Belehrung. So führen sie sowohl in den „esprit des regles de la Jurisprudence“ ein, als sie auch „la curiosité“ der Leserinnen und Leser befriedigen (Gayot 1735, Bd. 1, v). Explizit schließt er „les Dames“ (1734, Bd. 3, ij) in sein Zielpublikum ein, das sowohl „les gens du Barreau“ (1734, Bd. 3, iij) als auch juristische Laien umfasst. Interesse fachfremder Leser ist durch die fehlende Öffentlichkeit im Strafprozess des Ancien Régime durchaus zu erwarten. Abgesehen von der öffentlichen Vollstreckung der Urteile ist das Publikum weitestgehend von den Verfahren ausgeschlossen, die mehrheitlich schriftlich geführt werden.

Gayot zielt jedoch nicht nur auf das Sensationsbedürfnis, seinen Geschichten eignet darüber hinaus ein aufklärerischer Impetus. Er möchte die einzelnen Verfahrensschritte transparent machen, wobei auch Schwachstellen benannt und der Kritik ausgesetzt werden. Insgesamt ist sein Erzählen jedoch von einem Grundvertrauen in die Leistungsfähigkeit des Rechtssystems getragen. Um die Leserinnen und Leser in die Lage zu versetzen, selbst ein qualifiziertes Urteil fällen bzw. das Zustandekommen eines solchen Urteils nachvollziehen zu können, ist es für Gayot notwendig, der Erzählung des bloßen Sachverhalts auch eine Dokumentation der Textsorten des Rechtsfindungsverfahrens (Klageschriften, Plädoyers, Verhörprotokolle) an die Seite zu stellen.

Von juristischer Seite werden die Causes célèbres kritisiert, da Gayot einem fachfremden Publikum zu große Zugeständnisse mache. In seinen Vorworten reagiert er auf derartige Einwände. Es gereiche ihm zur Ehre, eine breite Öffentlichkeit für Rechts- und Verfahrensfragen zu interessieren (vgl. Gayot 1739, Bd. 8, iv f.). Was Gayot hier reklamiert ist, dass er „Öffentlichkeitsarbeit für eine ganze Disziplin“ leiste (Speth 2022, 140). Und dennoch ist bei der Art und Weise, wie er seine Rechtsfälle auswählt und diese präsentiert, die Absicht, Neugier zu befriedigen, kaum zu übersehen. Wenn ihm spätere Bearbeiter wie Richer vorwerfen, es gebreche den Pitavalgeschichten an Spannung, so verkennt dies, dass es Gayot nicht um die ‚suspension of disbelief‘, die Aufhebung des Unglaubens hinsichtlich des erzählten Rechtsfalls geht, sondern um eine ‚suspension du jugement‘ (vgl. Achermann 2023). Spannung erzeugten das Zustandekommen eines gerechten Urteils und seine nachvollziehbare Begründung.

1.3. Gayots Rechtfertigung des Begriffs ‚cause‘ anstelle von ‚procès

Gayot rechtfertigt am Ende seines programmatischen Vorworts zum ersten Band die Wahl seines Titels. Da fachsprachlich ‚cause‘ nur für die mündliche Gerichtsrede stehe, wäre ‚procès‘ als Begriff für die hier verhandelten, schriftlich geführten Prozesse eigentlich korrekt. Gemeinsprachlich habe ‚cause‘ aber einen deutlich weiteren Begriffsumfang: „Dailleurs [sic] le beau monde applique le mot de Cause à toute sorte de Procès“ (Gayot 1735, Bd. 1, xix). Da nun ‚cause‘ ein beglaubigtes historisches Gerichtsverfahren bezeichnet, so sollte der Begriff klar von der literarisch aufgearbeiteten ‚cause célèbre‘ unterschieden werden. Der Begriff ‚Pitavalgeschichte‘ kann in Zweifelsfällen Klarheit schaffen. Deutlich wird hierbei, dass es in Pitavalgeschichten um causes (causae) und nicht wie bei den histoires tragiques des 17. Jahrhunderts (de Rosset, Camus, de Parival, Harsdörffer) um choses (res, facta) oder cas (casus) geht.

2. Causes célèbres-Sammlungen in Frankreich

2.1. François Alexandre Garsault: Faits des Causes célèbres (Amsterdam 1757)

Die Faits des Causes célebres et intéressantes, augmentés de quelques Causes werden erstmals 1757 bei Chastelain in Amsterdam in einem Band gedruckt. Ihr Verfasser, François Alexandre Garsault, beschränkt sich auf die eigentlichen ‚Faits‘, während er „toutes dissertations, loix citées, plaidoyers, apologies, lettres de discussion“ und alle anderen genuin juristischen Textteile von Gayots Geschichten beiseitelässt (S. j). Diese seien allein für Anwälte relevant und langweilten das restliche Publikum (ebd.). Er dagegen beschränkt sich auf den Plot. Nur jede achte der 91 Geschichten und Miszellen hat zehn oder mehr Seiten Länge. Für 40 Prozent der ‚grandes‘ und ‚petites causes‘ benötigt Garsault jeweils nur ein bis zwei Textseiten. Die längste Geschichte dieser Ausgabe ist Le Maréchal de S. Geran mit 17 Textseiten – etwa ein Zehntel der Erzählzeit, die Gayots Fassung einnimmt.

2.2. Jean-Claude De La Ville: Continuation des Causes Célèbres et Intéressantes (Paris 1766–1770, 4 Bände)

De La Ville sieht sein Werk als Fortsetzung von Gayots Causes célèbres an. Doch verhielten sich die beiden Sammlungen wie die Gemälde zweier Maler, die sich demselben Motiv, jedoch mit unterschiedlichen Stilen und Techniken widmen (vgl. Bd. 1, iij). Wie Gayot kalkuliert De La Ville ein Fachpublikum aus Anwälten, Richtern und angehenden Juristen mit ein (vgl. vij), kritisiert dabei aber, Gayots schablonenhafte Vorgehensweise (vgl. iij f.). Stattdessen fordert er, eine angemessene Behandlung eines jeden Gegenstandes gemäß dessen Eigenart. Mit seiner Sammlung erhebt De La Ville den Anspruch, die berühmtesten Prozesse seit 1650 zu präsentieren (vgl. v). Er wählt dafür zwölf Zivilprozesse aus, in denen es um vornehmlich Erbschafts- und Standesfragen geht. Das Spektrum reicht von Rechtsstreitigkeiten der (illegitimen) Abkommen Heinrichs IV. (Bd. 1) bis zum Prozess der Witwe Calas’ (Bd. 4). De La Ville rechnet damit, dass einem Teil der Leserschaft die Fälle bereits aus eigener Lektüre bekannt sein könnten (vgl. Bd. 1, vj f.), wobei es keine Überschneidungen mit Gayots Korpus gibt. Der Verlag von Zacharias Chatelain et Fils in Amsterdam nimmt indes bei einer Neuauflage zwischen 1768 und 1771 die Titelformulierung der Continuation wörtlich und zählt De La Villes Bände als die Nummern 23 bis 26 einer Ausgabe von Gayots Causes célèbres et intéressantes.

2.3. Robert Estienne: Causes amusantes et connues (1769–1770, 2 Bände)

Causes amusantes et connues lautet der Titel einer zweibändigen Ausgabe, die 1769/1770 am fingierten Druckort Berlin, tatsächlich aber in Paris erscheint (vgl. Weller 1864, 182). Hinter dem anonymen Kompilator verbirgt sich Robert Estienne (vgl. ebd.). Lüsebrink führt die Causes amusantes et connues als Beispiel für Sammlungen an, „die das Pitavalsche Konzept in modifizierter Form übernahmen“ (Lüsebrink 1983, 105). Estienne selbst setzt sich in seinem Vorwort von einem M. Damon ab (Bd. 1, iij). Anders als dieser enthalte er sich jeglichen Kommentars, wodurch seine Sammlung unterhaltsamer sei (Bd. 1, iij und ix). Indes erwähnt Gayot im dritten Band seines Esprit des conversations agréables einen Advokaten mit dem Namen Damon (vgl. Gayot 1731, 273–283 und 476–486). Dabei fällt jedoch auf, dass die ihm zugeschriebenen Verse nur Gayot selbst kennt. Es dürfte sich daher um einen nom de plume handeln, hinter dem sich dann doch wieder Gayot de Pitaval verbirgt, was Estienne durchaus gewusst haben dürfte.

Auch wenn Estienne die sogenannten ‚Causes grasses‘, die am Faschingsdienstag (‚mardi gras‘) verhandelt werden und auf Kosten der Kläger und Beklagten das Publikum belustigen, ablehnt (vgl. Bd. 1, vj f.), sollen die zusammengestellten Prozessakten primär unterhalten. Die intendierte Belehrung beschränkt sich darauf, stilistische Vorbilder zu liefern (vgl. Bd. 1, iv f.). Es handelt sich um eine reine Sammlung von Mémoires, ohne Urteilssprüche, ohne Kommentierung und vor allem ohne narrativierten Sachverhalt. Somit fehlt jegliche Ähnlichkeit zur Faktur der Pitavalgeschichten und die Causes amusantes et connues sollten nicht als Rezeption der Causes célèbres angesehen werden.

2.4. François Richer: Causes célèbres et intéressantes (Amsterdam 1772–1788, 22 Bände)

Die einflussreichste Bearbeitung des Pitavals geht auf den Pariser Advokaten François Richer zurück. Der Titel Causes célèbres et intéressantes, avec les jugemens qui les ont décidées (Amsterdam 1772–1788, 22 Bände) stimmt exakt mit Gayots Formulierung überein. Dennoch setzt sich Richer in maximaler Schärfe von seinem Vorgänger ab: Denn „cet écrivain n’avoit, ni gout, ni critique, ni philosophie“ (Richer 1772, Bd. 1, v). Richer dagegen erhebt den Anspruch, das Werk durch seine Überarbeitung von allem unnötigem Ballast befreit zu haben – ein Selbstverständnis, das im Übrigen alle Nachfolger Gayots verbindet (vgl. Behrens/Zelle 2020, 218). Außerdem gibt Richer an, die Pitavalgeschichten nicht nur stilistisch überarbeitet zu haben („substituer mon style au sien“, Bd. 1, S. v), sondern darüber hinaus die ganze Ordnung der erzählten Fälle zu verändern und sogar in den Bestand der vergegenständlichten juristischen Textsorten einzugreifen (vgl. ebd.).

In der Tat handelt es sich bei Richers Fassung um die Vorlage für die gesamte anschließende Diskurstradition (vgl. Behrens/Zelle 2020, 217). Oliver Tekolf spricht von dieser Ausgabe sogar als dem „eigentlichen Pitaval“ (Tekolf 2005, 440). Insbesondere im deutschsprachigen Raum verdrängt Richer Pitaval (vgl. Marx 1980, 22) und zwar vor allem deshalb, da seine Version auch der von Schiller herausgegebenen Übersetzung zugrunde liegt.

Ausgehend von der in Rezensionen geäußerten Kritik (vgl. Richer 1772, Bd. 1, S. [iij]) zielt Richers Bearbeitung darauf ab, die „curiosité“ der Leser unter Reduktion des juristischen Gehalts „jusqu’à la fin“ zu spannen (Bd. 1, S. iv; vgl. dazu Lüsebrink 1983, 164, und De Doncker 2017a, 41–44). Richer kommt es vor allem darauf an, die Auflösung der Fälle, die Gayot von Anfang an durch seine Titelformulierungen vorgibt, möglichst lange aufzuschieben. Gemeint ist damit weniger die „Kriminalfrage“, sondern die Spannung, mitzufiebern, ob „die Täterin auch tatsächlich verurteilt wird“ (Hügel 1978, 87). Sandra Beck spricht von einer „formulierte[n] Poetologie detektorischen Erzählens“ (Beck 2014, 41). Ergebnis ist ein größeres „interpretative involvement of the reader“ (De Doncker 2017a, 168).

Richers Selbstverständnis nach dienen ihm Gayots Geschichten dabei als Stoffgrundlage, von der er lediglich eine ungeformte materia für das eigene Erzählen entlehne (vgl. dazu Speth 2021, 391). Das ist fraglos übertrieben und dient der Profilierung vermeintlicher Eigenständigkeit bei weitgehender Abhängigkeit. Denn über die Hälfte seiner causes célèbres übernimmt Richer in bearbeiteter Form von Gayot. Aus dem Zeitraum von 1745 bis 1775 ergänzt er einige Mordfälle (vgl. Lüsebrink 1983, 115). Interessanterweise macht er die eigenen Geschichten durch einen Asterix vor dem jeweiligen Titel kenntlich und erhebt so einen abgestuften Anspruch eigener Urheberschaft. Weg lässt er dagegen jene Pitavalgeschichten, die sein Vorgänger aus „les morceaux purement historique“ geformt habe (Richer 1772, Bd. 1, vj). Durch die veränderte Auswahl an Fällen verschiebt sich der Fokus auf die Milieus der Handwerker, Bürger und sozial Deklassierten (vgl. Neumeyer 2006, 111).

Richer greift dabei bereits „die von Beccaria inspirierten Strafrechtsreformen auf, die in Frankreich 1780 bzw. 1788 [...] zur Abschaffung der Folter führen sollten“ (Behrens/Zelle 2020, 220). Wo Gayot trotz einzelner Justizskandale, von denen er erzählt, an die Funktionstüchtigkeit des Rechtssystems im Ancien Régime glaubt, versucht Richer „to demonstrate the fundamentally flawed nature and incompetence of the legal system in its entirety“ (vgl. De Doncker 2017a, 81–85, zit. 81).

2.5. Nicolas-Toussaint Le Moyne Des Essarts und François Richer: Journal des Causes célèbres, curieuses et intéressantes (Paris 1772–1789, 179 Bände)

Gemeinsam mit Nicolas-Toussaint Le Moyne Des Essarts (auch: ‚Desessarts‘) gibt Richer zwischen 1772 und 1789 das Journal des Causes célèbres, curieuses et intéressantes de toutes les cours souveraines du royaume mit insgesamt 179 Bänden heraus. Gayots Konzept einer „Hybridisierung von Sachaufklärung und Lese-Effekt des lustvollen Schreckens angesichts des faktischen Bösen“ (vgl. Behrens/Zelle 2020, 208 f.) bleibt in dieser Sammlung erhalten. Allerdings tritt bei der Bearbeitung die Intention, Leserinnen und Leser zu unterhalten, stärker hervor, und neben die juristische Belehrung tritt die moralische Erbauung der Rezipienten (vgl. Richeux 2020, 64).

Richer und Des Essarts entwerfen ein zeitgenössisches Gesellschaftsbild von Aberglauben und Intoleranz (vgl. Lüsebrink 1983, 117), wofür sie aktuellen Prozessen den Vorzug geben und sich im Vergleich mit Gayot, dessen Rechtsfälle häufig im Hochadel situiert sind, auch sozial dem Kreis der Rezipienten annähern. Mazzacane sieht in diesem voluminösen Unternehmen „un’enciclopedia delle passioni umane“ (Mazzacane 2003, 90). Die ersten 40 Bände erschließt das separat gedruckte Register Table alphabétique et raisonnée des matières contenues (Paris 1777). Bei den 15 Bänden Choix de nouvelles causes célèbres (Paris 1785–1787) handelt es sich um eine Auswahlausgabe (vgl. De Doncker 2017a, 7, Anm. 6).

Ganz anders geformt sind Des Essarts’ Procès fameux extraits de l’Essai sur l’Histoire Générale des Tribunaux des Peuples tant anciens que modernes (10 Bände, Paris 1786–1788). Sie beruhen „im wesentlichen auf Reiseberichten und historischen Quellen“ (Lüsebrink 1983, 117) und entwerfen in 79 alphabetisch geordneten Anekdoten ein zeitlich weit in die Vormoderne zurück und räumlich über Europa hinausweisendes „Tableau des universellen Fanatisme“ (Lüsebrink 1983, 117).

2.6. P. F. Besdel: Abrégé des Causes Célèbres et Intéressantes (Paris 1773–1784, 3 Bände)

Ähnlich wie Garsaultkürzt P. F. Besdel in den mehrfach aufgelegten Abrégé des Causes Célèbres et Intéressantes (1773–1784, 3 Bände) Gayots Geschichten stark. Durchschnittlich verwendet Besdel lediglich zwölf Druckseiten auf eine Erzählung. Sgard nennt die Fassung „une sorte de vulgate des Causes célèbres, à l’usage des romanciers“ (Sgard 1974, 462). Der Bestand ist nicht identisch, obwohl nur vier der 56 von Besdel erzählten Pitavalgeschichten in Garsaults Auswahl fehlen. Anders als dieser druckt Besdel auch die historischen Urteile mit ab.

2.7. Maurice Méjan: Recueil des causes célèbres, et des arrêts qui les ont décidées (Paris 1807–1814, 19 Bände)

Die Sammlung des Advokaten am Pariser Kassationsgericht steht im Kontext des sich um 1800 intensivierenden Interesses an einer psychologischen Ergründung der Ursachen von Kriminalität (vgl. Richeux 2015, 14 f.). Dabei stellt Méjan Vergleiche zwischen altem und neuem Strafrecht an und hebt die Spannungen hervor, die sich in der Praxis zwischen juristischen und medizinisch-psychiatrischen Instanzen ergeben (vgl. ebd., 15). Seine Geschichten nutzt er dabei auch für konkrete juristische Reformvorschläge, etwa wenn er für die Wiedereinführung von Schwangerschaftserklärungen eintritt, um Fälle von Kindsmord zu verhindern (vgl. ebd., 20).

2.8. Pierre Joseph Alexis Roussel und Philippe Aristide Louis Pierre Plancher de Valcour: Annales du Crime et de l’Innocence (Paris 1813, 20 Bände)

1813 erscheint erneut eine zwanzigbändige Sammlung berühmter Rechtsfälle, die sich thematisch und erzählerisch eng an die Tradition Gayots und Richers hält (vgl. Behrens/Zelle 2020, 248). So sind 25 der 187 Prozessgeschichten direkt übernommen, die meisten der anderen spielen zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert (vgl. De Doncker 2017a, 23, und Behrens/Zelle 2020, 248 f.). Die Gegenwart bleibt dagegen ausgespart. Die Verfasser geben vor, ehemalige Anwälte zu sein, doch ist zumindest Plancher de Valcour eher als Komödienautor bekannt. Bei der Namensvariante ‚Pauchet de Valcour‘ handelt es sich um eine Fehllesung, die auch bei Fouquier zu finden ist und der die Forschung teilweise folgte (vgl. Behrens/Zelle 2020, 248, Anm. 123). Das Zielpublikum ist auch in dieser Sammlung breit und tendenziell fachfremd (vgl. Richeux 2020, 68).

Die Annales du Crime et de l’Innocence formen eine Art kulturelles Gedächtnis, wenn die Erzählung der gerichtlichen Bewältigung von Straftaten wie „Diebstahl, Raub, Magie, Vampirismus bis Mord [...] oder Staatsstreich“, um spezifisches Hintergrundwissen angereichert wird (Behrens/Zelle 2020, 250). De Doncker erkennt hierin daher eine „anthology [...] of crime“ für die Zeit vor der Französischen Revolution (De Doncker 2017a, 53). Hinzu kommt eine kritische Tendenz gegenüber der Justiz des Ancien Régime, die sich in der Bezugnahme auf aufklärerisches, insbesondere folterkritisches Gedankengut à la Beccarias Ausführungen in Dei delitti e delle pene äußert (vgl. De Doncker 2017a, 50–52).

2.9. Saint-Edme [d. i. Edme-Théodore Bourg]: Répertoire général des causes célèbres françaises, anciennes et modernes (Paris 1834–1835, 14 Bände)

Mit der unter seinem Pseudonym Saint-Edme erschienenen Sammlung nimmt Edme-Théodore Bourg eine Scharnierstelle in der Entwicklung der Gattung ein (vgl. dazu Behrens/Zelle 2020, 250 f.). Das Répertoire général des causes célèbres françaises, anciennes et modernes erscheint in drei Serien, wobei nur die erste mit den Bänden 1 bis 4 dem von Gayot vorgegebenen Repertoire verpflichtet bleibt. Allerdings ist die Präsentation der Fälle aus dem 16. bis 18. Jahrhundert hier alphabetisch nach den Namen der Täter organisiert. Auch die zweite Serie (Bd. 5–9) zeichnet „eine solche enzyklopädisch-alphabetische Reihung“ aus, doch liegt der Fokus nun auf den Protagonisten der Französischen Revolution (Behrens/Zelle 2020, 251). Die dritte Serie mit den letzten fünf Bänden ist dann „zeitgenössische[n] Kapitalverbrechen mit politisch-historischem Hintergrund“ gewidmet, wofür Bourg auf Texte aus dem Tagesschrifttum wie der Gazette des Tribunaux zurückgreift (Behrens/Zelle 2020, 251). Insofern sind in dieser Sammlung beide Traditionsstränge vereint: der ältere, der an Gayot anschließend eine historische Summe der gerichtlichen Bearbeitung von Rechtstreitigkeiten und von Kriminalität bietet, und ein neuer, der im 19. Jahrhundert bis an die Grenze journalistischer Gerichtsberichterstattung heranreicht.

2.10. Armand Fouquier: Causes Célèbres de Tous Les Peuples (Paris 1858–1864/1874, 8 Bände)

Armand Fouquier ist als Historiker Vizepräsident des Conseil am Pariser Institut Historique de France. Ähnlich wie Gayots richtet sich seine Sammlung sowohl an das juristische Fachpublikum als auch an ein größeres Laienpublikum, dessen ‚Rechtsgefühl‘ gebildet und das auch moralisch belehrt werden soll (vgl. Richeux 2020, 70, sowie De Doncker 2017a, 59 und 100). Ein knappes Zehntel der erzählten Geschichten übernimmt Fouquier aus dem originalen Sammlungszusammenhang (vgl. De Doncker 2017a, 24). Teilweise verfolgt er dabei explizit das Anliegen, „eingefahrene Mythisierungen und Romantisierungen zu begradigen“ und die Geschichten erstmals historisch korrekt zu erzählen (Behrens/Zelle 2020, 253). Auch er setzt sich programmatisch von Gayots und Des Essarts „lack of jugement, critique and style“ ab (De Doncker 2017a, 59).

Aufgrund seines „ausgeklügelte[n] Verkaufssystem[s]“ sei die Sammlung „zu einem Inbegriff der C[auses] C[élèbres] in der zweiten Jahrhunderthälfte“ geworden (Behrens/Zelle 2020, 252, Anm. 131). Die Besonderheit besteht dabei darin, dass dem Verkauf der Buchform ein Angebot ungebundener Einzellieferungen vorausgeht. Unter dem „Deckmantel des breiten kulturhistorischen Interesses“ verschiebt sich das Erzählspektrum, auch durch die Erscheinungsweise begünstigt, nach und nach in Richtung gegenwärtiger Fälle (Behrens/Zelle 2020, 253; an je exemplarischen Fällen Chavaud, 2020, und Demartini, 2020). Im fünften Band führt Fouquier mit dem ‚Procès du jour‘ eine Sonderform ein, die sich eng an Texte aus der Gazette des Tribunaux und anderen Journalen orientiert (vgl. Behrens/Zelle 2020, 253).

Auffällig ist „das Interesse an irregulären psychischen Konstellationen“, wobei Fouquier gerne verwandte Fälle vergleicht, um davon verallgemeinerbare Verbrechertypen abzuleiten (Behrens/Zelle 2020, 254; vgl. auch De Doncker 2017a, 60). Das Hauptaugenmerk liegt dann auf der anthropologischen Katalogisierung (vgl. Behrens/Zelle 2020, 254, und De Doncker 2017a, 141–146). Richeux verortet die Sammlung daher „dans un contexte anthropologique médico-légal“ (Richeux 2015, 15). Auf diese Weise versuche Fouquier, eine Brücke zu bauen, vom „zeitgenössischen anthropologischen und medizinisch-psychiatrischen Verbrecherbild“ zum Justizsystem seiner Zeit, da er in dessen Praxis „die postaufklärerischen Ideale“ bedroht sieht (Behrens/Zelle 2020, 254 f.). Behrens und Zelle erkennen darin eine Nähe zum literarischen Naturalismus, die sich auch auf Fouquiers Erzähltechnik durchschlage (für Fouquiers Arbeitsweise, einen Kriminalfall zu einer Pitavalgeschichte umzuformen vgl. Chauvaud 2020).

2.11. Albert Bataille: Causes criminelles et mondaines (Paris 1881–1898, 18 Bände)

Die innerhalb von Fouquiers Sammlung zu beobachtende Verschiebung von einer umfassenden Geschichte des Verbrechens hin zu einer aktuellen Berichterstattung setzt sich beim Gerichtsreporter Albert Bataille radikal fort (vgl. Behrens/Zelle, 2020, S. 255): Keiner der 273 Fälle ereignet sich vor den 1880er Jahren. In Verbindung mit einem soziologischen Interesse am gesellschaftlichen Milieu der Verbrechen gerät die Sammlung so zu einem „konsequente[n] Sittenspiegel der französischen Gesellschaft des beginnenden Fin de Siècle“ (Behrens/Zelle, 2020, S. 255; vgl. in diesem Zusammenhang Behrens, 2020, am Beispiel der Affäre Gouffé). Kenntnis von den aktuell anhängigen Gerichtsverfahren erlangt Bataille dabei als Journalist in Diensten von Le Figaro (zu seinem zeitgenössischen Ansehen als Gerichtsreporter vgl. Chabrier 2013, 336 f.). Seine Causes criminelles stellen lediglich die spektakulärsten Fälle des vergangenen Jahres in Buchform zusammen (vgl. Behrens/Zelle 2020, 255 f.). Damit ist das Ende der Causes célèbres in Frankreich besiegelt. Der nach und nach entwickelte Anspruch auf Aktualität bringt die Pitavalsammlungen in eine Konkurrenz zur journalistischen Berichterstattung – ein Kampf, den die traditionsreiche Gattung nur verlieren konnte.

3. (Auswahl-)Übersetzungen ins Deutsche

Vier Mal werden größere Teile aus Gayots Causes célèbres ins Deutsche übersetzt. Bereits kurz nach dem Erscheinen übersetzt ein Anonymus zwischen 1747 und 1750 die ersten acht Bände für den Leipziger Kiesewetter-Verlag. 1767 folgt ein neunter Band in der Heinsiusischen Buchhandlung, die mit Kiesewetters Verlag auch die Übersetzung der ersten Teile aufgekauft hatte. Beim neunten Band handelt es sich um eine Auswahl aus Gayots Bänden 9, 12, 17 und 20. Noch im 18. Jahrhundert folgen zwei Auswahlübersetzungen in Jena, die nicht direkt auf Gayot zurückgreifen, sondern Geschichten seines Bearbeiters Richer übersetzen. Dadurch enthalten die Sammlungen von Carl Wilhelm Franz (1782–1792) und Friedrich Schiller (1792–1795) auch Rechtsfälle, von denen Gayot nicht berichtet. Eine vierte Sammlung mit dem bezeichnenden Titel Der neue Pitaval (1842–1890) enthält nur noch zu einem kleinen Teil Erzählungen des Ursprungskorpus, die zudem so stark bearbeitet sind, dass von ‚Pitavalgeschichten‘ im eigentlichen Verständnis nicht mehr zu sprechen ist. Die sogenannte ‚Gleditsch‘-Übersetzung (vgl. Marx 1980, 21) gibt es nicht. Der bibliographische Fehler ist durch eine Verwechslung entstanden. So führt schon das Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums. 1700–1910 eine weitere Leipziger Übersetzung in neun Teilen bei „Heinsius. (Gleditsch)“ an (Bd. 109, S. 192). Gemeint ist hier aber der neunte Band der Kiesewetter-Ausgabe, keine eigenständige Neuübersetzung.

3.1. Anonyme Übersetzung: Erzählung sonderbarer Rechtshändel, sammt deren gerichtlichen Entscheidung im Kiesewetter-Verlag (Leipzig 1747–1750/1767, 9 Bände)

Gottfried Kiesewetter ist zwischen 1735 und 1761 Buchhändler in Stockholm – zeitweilig sogar der bedeutendste Verleger Schwedens; bis 1757 ist er darüber hinaus Universitätsbuchhändler in Uppsala (vgl. Nielsen, 2014). Seine deutschen Geschäfte wickelt er über Leipzig ab, wo die ersten acht Bände von Gayots Causes célèbres erstmals in deutschsprachiger Übersetzung erscheinen. Auf den Titelblättern wird stets mit „Gayott von Pitaval“ als einem „Parlementsadvoc. zu Paris“ geworben. Die Titelformulierung lautet: Causes celebres, oder Erzählung sonderbarer Rechtshändel, sammt deren gerichtlichen Entscheidung. Beim zweiten bis vierten Band fehlt allerdings der französische Haupttitel. Wer die Übersetzung verantwortet, ist bislang unbekannt. Eine zeitgenössische Rezension lobt die Leistung des Übersetzers trotz einiger Schnitzer stilistisch, da sie durch die Verknappung „der langen Perioden“ eingängiger sei als das Original (Anonym, 1750, 503). Der anonyme Rezensent glaubt an einen Verkaufserfolg, der über das rechtskundige Publikum hinausreichen werde. Dagegen teilt er für den deutschen Buchmarkt Gayots Hoffnung nicht, dass auch Leserinnen für ein Werk mit juristischem Gehalt zu gewinnen seien (vgl. ebd., 486). Eine Buchanzeige in den Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen verweist darauf, dass „der Nahme des Herrn von Pitaval“ manchem aufgrund seiner L’art d’orner l’esprit en l’amusant bekannt sein werde (Anonym, 1747). Dieses Werk gilt hier als Garant dafür, dass „alles, was von dessen Feder kommt“, „angenehm und nützlich“ sei (ebd.).

Gerade der verlegerische Peritext mit einem Inhaltsverzeichnis, das – wie in der französischen Vorlage – die juristisch einschlägigen Materien wie vergegenständlichte Aktenstücke und Stellen, an denen Spezialfragen erörtert werden, für einen diskontinuierlichen Zugriff verfügbar macht, zeigt an, dass ein Fachpublikum intendiert ist (vgl. Speth 2023).

Ein Indiz für die Wahl der Textgrundlage ist das Fehlen der Briefe der Marquise de Sévigné innerhalb der Brinvilliers-Geschichte im ersten Band. Diese werden im Französischen erst in einer Neuauflage von 1735, ein Jahr nach dem ursprünglichen Erscheinen ergänzt. Von einer „critical edition“ oder „a literal translation“ (De Doncker 2017a, 39 und 164) lässt sich dabei nur in Bezug auf die zeitgenössische Praxis, nicht jedoch auf moderne, wissenschaftliche Kriterien sprechen. So gib es im Einzelnen sogar Abweichungen bei der Motivierung des Geschehens (vgl. Behrens/Zelle 2020, 273).

3.2. Carl Wilhelm Franz: Sonderbare und merkwürdige Rechtsfälle (Jena 1782–1792, 4 Bände)

In schneller Folge erscheinen 1782/83 die ersten drei Bände der Auswahlübersetzung durch den Geraer Regierungsadvokaten Carl Wilhelm Franz im Verlag der Cunoischen Buchhandlung. Zur selben Zeit legt er eine Übersetzung des Versuchs zu Verbesserung der peinlichen Gesetze in Frankreich von François-Michel Vermeil vor. Ein vierter und letzter Band folgt erst 1792, als Franz Stadtphysicus in Schleiz ist. Franz selbst schreibt sein Werk in die Traditionslinie ein, wenn das Titelblatt Richer als denjenigen anführt, der die Sonderbaren und merkwürdigen Rechtsfälle Gayots von Pitaval „umgearbeitet und vermehrt“ habe. Richer erscheint hier also lediglich als Fortsetzer und Bearbeiter, während Gayot Urheber des Sammlungsvorhabens ist. Insgesamt finden sich 17 der 25 übersetzten Geschichten bereits bei Gayot, nur acht gehen allein auf Richer zurück.

Die Buchanzeige in den Jenaischen gelehrten Zeitungen stellt Franz’ Pitavalgeschichten der älteren Übersetzung aus dem Kiesewetter-Verlag gegenüber: „Die alte deutsche Uebersetzung [...] war nach dem französischen Original in seiner ersten Gestalt gemacht worden und [...] eben so unausstehlich weitschweifig, wie das Original selbst“ (U., 1783, 167). Demgegenüber habe die Neuübersetzung „den Vorzug, daß dabei die umgearbeitete und vermehrte Richerische Ausgabe des Originals zum Grunde gelegt worden“ und dass „auch die Uebersetzung als Uebersetzung [...] unendlich korrecter und deutscher“ sei (ebd.). Insbesondere habe sich Franz auch bei der Auswahl seiner Geschichten auf deutsche Interessen beschränkt. Vergleicht man die Bearbeitungsintensität von Richer und Franz, so fällt auf, dass die deutsche Übersetzung gerade bei der Vergegenständlichung von Aktenstücken deutlich restriktiver verfährt als noch Richer (vgl. Speth 2022, 137, 140, 143 f. und 163). Dem intendierten Publikum wird somit ein vermindertes Interesse an genuin juristischen Materien aus einem französischen Kontext attestiert.

3.3. Friedrich Schiller (Hg.): Merkwürdige Rechtsfälle als ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit (Jena 1792–1795, 4 Bände)

Zeitgleich mit dem vierten Band der Sammlung von Franz setzt ebenfalls in Jena eine weitere Ausgabe Merkwürdiger Rechtsfälle ein. Vier Bände erscheinen zwischen 1792 und 1795. Aufgrund der Herausgeberschaft Friedrich Schillers erlangt diese Auswahlübersetzung durch den Philosophen und späteren Theologen Friedrich Immanuel Niethammer große Bekanntheit. Welchen Anteil Schiller an Auswahl und Übersetzung nimmt, lässt sich nicht mehr feststellen. Doch ist es aufgrund der Nähe zu Franz’ Richer-Bearbeitung wahrscheinlich, dass Schiller ausschließlich die Vorrede zum ersten Band verfasst hat. Weder gibt es große Abweichungen im Wortlaut der Übersetzungen (vgl. Foik/Löhr 2023), noch im Bestand der Erzählungen. Lediglich die Geschichte des Chevalier von Morsan (Bd. 2; dazu vgl. Trüstedt 2019) und Das Fräulein von Choiseul (Bd. 4) übersetzt Franz nicht, beide sind jedoch sowohl bei Richer als auch bei Gayot de Pitaval zu finden. Diese Abhängigkeit von Franz wird peritextuell verschleiert, wenn das Titelblatt formuliert, man folge „dem Französischen Werk des Pitaval durch mehrere Verfasser ausgearbeitet“. Damit dürften Richer und Franz als Zwischenstufen gemeint sein.

Behrens und Zelle erkennen in dieser Ausgabe das „Scharnier-, Transmission- und Transformationsglied“ für den deutschsprachigen Pitaval-Diskurs an der Schwelle zum 19. Jahrhundert (Behrens/Zelle 2020, 220). ‚Pitaval‘ werde fortan „zu einer Genrebezeichnung für Sammlungen mehr oder weniger interessanter, berühmter oder sensationeller Strafrechtsfälle“ (ebd., 315). „Der ‚Pitaval‘“ ist somit „genaugenommen ein durch die von Schiller initiierte Auswahlübersetzung transformierter Richer“ (ebd., 223). Berücksichtigt man den wohl geringen Anteil Schillers an dem Projekt, ließe sich die Bemerkung von Behrens und Zelle weiter präzisieren: Genaugenommen ist der ‚Pitaval‘ in der deutschsprachigen Tradition ein von Carl Wilhelm Franz übersetzter und neu von Friedrich Immanuel Niethammer bearbeiteter Richer, der aufgrund von Schillers programmatischer Vorrede Popularität erlangte. Um Fehlzuschreibungen zu vermeiden, sollte sich die Forschung dieser Komplexität bewusst sein. Zahlreiche Änderungen, die etwa Schiller zugeschrieben werden, stammen weder von diesem noch überhaupt aus der deutschen Tradition, sondern lassen sich bereits bei Richers Gayot-Bearbeitung nachweisen (vgl. die kritischen Bemerkungen zu Neumeyer und De Doncker bei Behrens/Zelle 2020, 219 f. und 278).

Weniger eine Psychologisierung der Fälle – diese nimmt bereits Richer vor –, sondern die programmatische Verschiebung ins Anthropologische lässt sich anhand von Schillers Vorrede nachweisen. Am Extremfall eines Verbrechers lassen sich demnach jene „Triebfedern“ des Menschen erkennen, die dem Betrachter normalerweise verborgen bleiben, wodurch die Rechtsfallgeschichten „tiefere Blicke in das Menschen-Herz“ offenbaren (Bd. 1, fol. *3vo). Erst „ein Kriminalprozeß“ enthüllt nach Schiller „die wahren Motive“ sowie „das Innerste der Gedanken“ und bringt damit „das versteckteste Gewebe der Bosheit an den Tag“ (ebd.). Der anthropologische „Ausnahmefall“ des Verbrechers wird bei einer psychologischen Betrachtung seiner Tat zum „erkenntnistheoretische[n] Idealfall“ (Neumeyer 2006, 105). Daher übernimmt die Ausgabe Richers Bearbeitungstendenz einer „Verinnerlichung der Tat und ihre[r] psychologische[n] Herleitung“ (Behrens/Zelle 2020, 278). Die juristische Wertung tritt völlig hinter die Erklärung der menschlichen Ursachen zurück (vgl. De Doncker 2017a, 128–130). Aus diesem Grund kann wie bei Franz das vergegenständlichte juristische Aktenmaterial größtenteils weggelassen werden. In der Folge verschiebt sich, wie Hania Siebenpfeiffer bemerkt, das quantitative Verhältnis von narratio und argumentatio (vgl. Siebenpfeiffer 2015, 177 f.). Die agonalen Prozessteile schrumpfen auf ein Minimum. Die Entwicklung hin zu einer Schwundstufe eigentlicher ‚Pitavalgeschichten‘ ist deutlich zu erkennen. Inwiefern diese Transformation vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Poetik als ‚Literarisierung‘ zu charakterisieren ist, bleibt zu prüfen. Alexander Košenina spricht in diesem Zusammenhang von „Schillers Kriminalpoetik“ (Košenina 2005, 391), Ingo Breuer von einer ‚Dramatisierung‘ der Texte (vgl. Breuer 2018, 269), Hania Siebenpfeiffer erkennt einen erhöhten „Grad der [...] Literarisierung“ (Siebenpfeiffer 2015, 177) und Behrens und Zelle betonen die rezeptionsästhetisch relevante Hervorbringung einer „flüssigere[n] Lektüre“ (Behrens/Zelle 2020, 278).

Die Verschiebung der Aufmerksamkeit von verfahrenstechnischen Fragen hin zur psychologischen Erklärung innerhalb der Tradition der Pitavale entspricht den strafrechtlichen Entwicklungen innerhalb des 18. Jahrhunderts mit dem Übergang vom Tat- zum Täterstrafrecht unter einer zunehmenden Berücksichtigung der Zurechnungsfähigkeit (vgl. Greve 2004, 23–27, 209–341 und 411–429; sowie Neumeyer 2006, 119–123). Der Rückgriff auf den Bestand älterer Justizfälle aus einer Zeit vor der einsetzenden Reformbewegung impliziert dabei ein analytisches Problem. Denn für das von Schiller vermerkte Erkenntnisinteresse sind jene Fälle, die nach dem weltlichen Inquisitionsprozess verhandelt wurden, anachronistisch (vgl. Trüstedt 2019, 58 f.). Das Aktenmaterial kann die von Schiller gesuchten Einblicke in die Psyche der Delinquenten gar nicht enthalten, da sich die Justiz des 17. und frühen 18. Jahrhunderts gar nicht für entsprechende Fragen interessierte. Die neue „Perspektive der Innerlichkeit“ bringt es daher mit sich, dass Autoren erfinden müssen, was nicht in den Gerichtsakten zu finden ist (Speth 2021, 397).

Einher geht die reduzierte Vergegenständlichung von Aktenmaterial mit einer Abkehr von einem intendierten Publikum, das neben interessierten Laien auch Fachjuristen umfassen sollte. Schillers Vorrede spricht ganz explizit einen breiten Rezipientenkreis an und folgt damit einem volksaufklärerischen Impetus (vgl. Bd. 1, fol. [*4]ro). Denn es sei an den „bessere[n] Schriftsteller[n]“, den Autoren „Geschmak- und Sittenverderbende[r] Romane“ jene Kunstgriffe abzuschauen, mit deren Hilfe sie ihre Leserinnen und Leser fesselten (vgl. ebd., fol. *2ro f.). So solle die „Divinationsgabe“ der Rezipierenden „auf würdige Zwecke“ gerichtet werden (ebd., fol. *3ro). Im Allgemeinen ist damit gut idealistisch „das Wahre, Schöne und Gute“ gemeint (ebd., fol. *2vo); konkret geht es Schiller um einen „Gewinn für Menschenkenntniß und Menschenbehandlung“ nebst der Verbreitung von „Rechtskenntnisse[n]“ (ebd., fol. *3vo). Das Ziel ist also „eine[ ] aufgeklärte[ ] Massenliteratur“ (Lüsebrink 1983, 112). Nicolas Pethes spricht von einem „trojanische[n] Pferd“, mit dem es gelingen könnte, „Winckelmannsche Werte unters Volk zu schmuggeln“ (Pethes 2005, 65). Angelehnt an Karl Philipp Moritz’ Magazin für Erfahrungsseelenkunde wünscht Schiller in letzter Konsequenz ein „vollständige[s] Magazin“ der Rechtsfallgeschichten, das zeitlich und räumlich weit über Gayots Korpus hinausweisen soll (fol. [*4]vo).

3.4. Wilhelm Häring und Julius Eduard Hitzig: Der neue Pitaval (Leipzig 1842–1890, 60 Bände)

Zwischen 1842 und 1890 schreibt sich eine Sammlung von 550 Fällen in 524 Einzeltexten explizit in die ‚Pitaval‘-Tradition ein (vgl. Behrens/Zelle 2020, 257 f.): Unter dem Titel Der neue Pitaval. Eine Sammlung der interessantesten Criminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit erscheinen im Leipziger Brockhaus-Verlag insgesamt sechzig Bände – „the most widely read crime literature of its time in Germany“ (Divine 2004, vi). Zu unterscheiden sind drei Folgen einer ersten Serie mit jeweils 12 Bänden sowie eine zweite Serie mit den Bänden 37 bis 60. Herausgeber sind zunächst – federführend – der unter dem Pseudonym Willibald Alexis bekannte Autor Georg Wilhelm Heinrich Häring und – beratend – der Jurist Julius Eduard Hitzig, ein Freund und Kollege E. T. A. Hoffmanns. Die beiden Herausgeber kennen einander beruflich, da Häring als Referendar und Assessor unter Hitzig am Berliner Kammergericht tätig war (vgl. Busch 2014, 273 f.). Nach Hitzigs Tod 1849 verantwortet Häring das Unternehmen zunächst allein. 1862 folgt ihm Anton Vollert nach. Ursprünglich habe der Verlag als Nachfolger den Juristen und Kriminalautor Jodocus Donatus Hubertus Temme angefragt (vgl. Marsch 1972, 125 f.).

Im deutschsprachigen Raum wird mit dieser Sammlung der Name ‚Pitaval‘ zu einem Synonym „for the entire genre“ und daher von zahlreichen nachfolgenden Sammlungen in den jeweiligen Titelformulierungen aufgegriffen (De Doncker 2017a, 6; vgl. Linder/Schönert 1983, 195, und Behrens/Zelle 2020, 315). Wie eine anonyme Rezension in den Blättern für literarische Unterhaltung bemerkt, sei der Name ‚Pitaval‘ dem Werk aufgrund von Gayots europaweitem Ruf „[m]it Recht [...] vorgestellt“. „Schon de[n] Erfolg, den Pitaval gehabt hat“, nimmt der Rezensent als klares Indiz dafür, dass die weit verbreitete Kritik zu relativieren sei (Anonym, 1842, 885). Wie das programmatische Vorwort zum ersten Band verdeutlicht, sehen bereits Hitzig und Häring den Namen ‚Pitaval‘ als „einen sächlichen Begriff“ an (vgl. Bd. 1, XVI). Allerdings macht der Neue Pitaval mitunter gerade an denjenigen Textstellen seine vermeintliche intertextuelle Abhängigkeit von Gayot explizit, an denen es sich eigentlich um Hinzufügungen Richers handelt (vgl. Behrens/Zelle 2020, 284).

Michael J. Divine erkennt in der Titelgebung einen Akt überbietender Abgrenzung (vgl. Divine 2004, 58). Wenn im Folgenden das „Markenzeichen“ ‚Pitaval‘ verwendet wird, so bezieht es sich nicht länger auf Gayot, sondern auf die Sammlung von Hitzig und Häring (vgl. Niehaus 2014, S. 83/46, das Zitat ebd., 81). Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass nur noch 14 der ersten 107 Geschichten bereits zu Gayots Korpus zählen (vgl. De Doncker 2017a, 23 f.). Sowohl „Feuerbach’s Musterdarstellung“ (Vorwort zu Bd. 1, XIII) als auch Schillers ‚Pitaval‘ genießen darüber hinaus eine Vorbildfunktion (vgl. das Vorwort zu Bd. 2, X). Mit beiden Sammlungen teilt der Neue Pitaval ein psychologisches Interesse an den Fällen und an der Erklärung von Devianz (vgl. De Doncker 2017a, 54–58 und 135–140). Letztlich ist Kriminalität für Hitzig und Häring jedoch „kein Natur- bzw. Degenerations-, sondern ein Moralphänomen“ (Behrens/Zelle 2020, 269; vgl. Linder/Schönert 1983, 198). Selbst monströse Taten lassen sich erklären (vgl. Lehmann 2009, 203–205, und Wessels 2006, 533).

Schillers Forderung, die Sammlung über den französischen Ursprungskontext hinaus zu erweitern, wird von Hitzig und Häring eingelöst. Jules De Doncker hat für die erste Folge statistische Daten erhoben. Demnach spielt ein gutes Drittel der Geschichten in Frankreich, ein knappes Drittel in deutschen Territorien (vgl. De Doncker 2017b, 126). Aber auch England und die Vereinigten Staaten von Amerika sind vertreten. Jeweils knapp die Hälfte der Fälle datiert dabei in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts bzw. ins 18. Jahrhundert. Nur knapp 3 Prozent sind älter (vgl. ebd.). In den Ausgaben zwischen 1878 und 1890 ereignet sich dagegen knapp die Hälfte der Fälle erst im Jahr des Erscheinens, nur noch rund 20 Prozent sind älter als zehn Jahre (vgl. Wessels 2006, 535, Anm. 76). Achim Saupe erkennt in der ursprünglich „historische[n] Ausrichtung [...] eine erinnerungspolitische Funktion“, denn „[m]it der Einschreibung historisch relevanter Kriminalfälle in das kulturelle Gedächtnis konstruierte man gleichzeitig ein moralisches, nationales Gewissen“ (Saupe 2020, 27, und gleichlautend schon Saupe 2009, 172). Im Vergleich mit der von Schiller herausgegebenen Sammlung kommt es zu einem signifikanten Anstieg des Anteils von Mord- und Diebstahlfällen; gleichzeitig erzählen Hitzig und Häring deutlich seltener von zivilrechtlichen Streitfällen (vgl. De Doncker 2017b, 128).

Verglichen mit der Gattungstradition hat sich das Erzählinteresse deutlich vom Prozessverlauf auf das Kriminalgeschehen verschoben. Die Geschichten des Neuen Pitaval nehmen daher eine mittlere Position zwischen juristischer Fallpublikation und Kriminalnovelle ein (vgl. Zelle 2015, 208 f.). Michael Niehaus nennt sie „faktuale[ ] literarische[ ] Criminalgeschichten“ (Niehaus 2014, 81). Vereindeutigend kommt Rainer Maria Kiesow zu dem Fazit: „Der Neue Pitaval war Literatur“ (Kiesow 2004, 200). Zwar halten Hitzig und Häring formal an dem Anspruch fest, auch Juristen zu erreichen (vgl. das Vorwort zu Bd. 1, XI f.), doch hat sich die Grenze zwischen juristischem Fach- und Laienpublikum inzwischen verfestigt (vgl. Linder [1991] 2013, 265, und Wessels 2006, 529–532). Daher präsentiert der Neue Pitaval nicht länger das Prozessgeschehen, sondern „die Geschichte hinter der Geschichte des Strafverfahrens“ (Linder [1991] 2013, 264). Wie die Herausgeber programmatisch ankündigen, liege der Schwerpunkt des Vorhabens nicht länger auf der „strenge[n] Kritik der Beweisführung, [der] erschöpfende[n] Beurtheilung des Thatbestandes eines Verbrechens“, sondern die „Hauptaufgabe“ bestehe in der „lebendige[n] Darstellung der Handlung, der That und ihrer Motive“ (Vorwort zu Bd. 1, XIII). Wenn Juristen trotzdem weiter als intendierte Leser adressiert werden, dann nicht wegen ihrer fachlichen Tätigkeit, sondern als interessierte Menschen (vgl. Niehaus 2014, 82 f.). Damit setzen sich Hitzig und Häring explizit von Gayots Erzählweise ab und wenden sich Richer zu (vgl. Bd. 1, XIII f.). Beim Hinweis auf die Aktenmäßigkeit des Erzählten handelt es sich um nicht mehr als eine reine „Authentisierungsstrategie“ (Saupe 2020, 28; identisch mit Saupe 2009, 175). In diesem Zusammenhang ist an die Einschätzung Linders und Schönerts zu erinnern, die den Neuen Pitaval „als ‚Zentralorgan‘ für die Ausbildung eines allgemeinen Rechtsbewußtseins und für Erfahrungsgewinn in Sachen Kriminologie und Rechtspraxis“ ansehen (Linder/Schönert 1983, 197). Schließlich stammen die Kenntnisse, auf deren Grundlage gerade die fachfremden Rezipienten die Authentizität des Erzählten beurteilen, aus zweiter Hand. Der Erfahrungshorizont, der als Wertmaßstab angelegt wird, ist selbst bereits literarisch vermittelt (vgl. ebd., 203). Die Fakten werden hier in einer eigenen „historical or political interpretation“ dargeboten (Divine 2004, 4). Dennoch achtet gerade Häring darauf, dass die verwandten literarischen Mittel „den Eindruck absoluter Verläßlichkeit und Aktentreue nicht stören“ (Linder [1991] 2013, 275). Da die Verfasser „am moralischen Erzählmuster“ festhalten, schätzen Carsten Zelle und Achim Saupe ihr Erzählen letztlich nicht als kriminologisch ein (Zelle 2018, 278; vgl. Saupe 2020, 25–27), während Sandra Beck die Verwendung „genuin detektorischer Muster des Erzählens“ herausarbeitet (Beck 2017, 208).

Ein knappes halbes Jahrhundert lang begleitet der Neue Pitaval so die Durchsetzung des reformierten Strafprozesses mit den Prinzipien der Öffentlichkeit und Mündlichkeit. Hitzig und Häring nutzen dabei die ihnen „vom Brockhaus-Verlag verliehene Medienmacht“ (Behrens/Zelle 2020, 245; vgl. Wessels 2006, 533–536, und Zelle 2015, 215–224) und greifen auch aktiv in die anliegenden Debatten ein. Beispielsweise zeigen sie sich skeptisch gegenüber dem Indizienparadigma (vgl. Behrens/Zelle 2020, 268 f.) und treten für die „Hegemonie richterlicher Jurisdiktion gegenüber ärztlicher bzw. psychiatrischer Begutachtung“ ein (Zelle 2015, 224). Ferner kritisiert Hitzig die Zurechnungslehre, da dadurch Schuld nicht hinreichend gesühnt werde (vgl. Saupe 2009, 179; Zelle 2015, 216 f.). Während er Berufsrichter an Stelle einer Laienjury bevorzugt, nutzt Häring das Publikationsorgan, um umgekehrt für den Geschworenenprozess einzutreten (vgl. Behrens/Zelle 2020, 240 und 307, sowie Divine 2004, 11–16).

Stehen die Anfänge des Neuen Pitaval im Zeichen des Historismus (vgl. De Doncker 2017a, 175–178, und De Doncker 2020, 89–91), so gibt es ab den 1850er Jahren eine Tendenz zu größerer Aktualität der ausgewählten Rechtsfälle. Im Vorwort zum ersten Band der dritten Folge (Bd. 25, 1858) erhebt Häring den Anspruch, den Schwerpunkt auf „criminalistische[ ] Regesten des Tages“ zu verlegen, sodass „ein Repertorium der interessantesten Ereignisse aus der gegenwärtigen Criminalistik“ entstehen sollte (Bd. 25, XI). Dieser Wandel ist strukturell notwendig, da mit der Vielzahl der bereits erzählten Rechtsfälle, das historische Archiv zunehmend geplündert ist. Michael Niehaus erkennt hierin eine Entwicklung von einem potentiell abzuschließenden ‚Werk‘ hin zur Institution eines stets aktuellen ‚Periodikums‘ (vgl. Niehaus 2014, 75–79). Vollert trägt dieser Tendenz Rechnung, wenn er zu einer vierteljährigen Erscheinungsweise übergeht (vgl. Wessels 2006, 535). Unter seiner Herausgeberschaft steuern insbesondere Dichterjuristen wie Wilhelm Genast, Gotthelf Karl Meyer oder Ernst Barre Beiträge zu gegenwärtig anhängigen Prozessen zum Neuen Pitaval bei (vgl. Behrens/Zelle 2020, 267). Ein Textvergleich mit den Zweit- und Drittauflagen ist ebenso ein Desiderat wie eine Analyse dieser späteren Bände. Auch ist zu beachten, dass es Ausgliederungen wie den Reise-Pitaval von 1856 oder die Reihe Die interessantesten Criminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit. Eine Auswahl für das Volk aus dem „Neuen Pitaval“ (1867–1870 in 6 Bänden) gibt.

Es ist diese kontinuierlich produktive Vielfalt der Adaption, durch die sich das Genre zwar teilweise von seinem Ursprung entfernt, die jedoch zugleich den Ausgangspunkt bildet für eine außerordentlich breite Rezeption in anderen Gattungen. Vermittels dieser Rezeption erweist sich der Pitaval als das juristische Fallreservoire der europäischen Literatur.

Quellen

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Zitationsvorschlag

Eric Achermann, Peter Oestmann, Kathrin Löhr, Sebastian Speth (2022): Pitaval / Causes célèbres, in: Thomas Gutmann, Eberhard Ortland, Klaus Stierstorfer (Hgg.), Enzyklopädie Recht und Literatur,
doi: 10.17879/12009589706
URL: https://lawandliterature.eu/index.php/de/inhalt?view=article&id=37&catid=11

 

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