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Islamisches Recht

Stand 5. Oktober 2022

arab. فقه fiqh; شريعة šarīʿa

Als „islamisches (oder muslimisches) Recht“ wird in europäischen Sprachen die Normenlehre des Islam bezeichnet. Obschon diese Terminologie auch in der Wissenschaft etabliert ist, beschreibt sie ihren Gegenstand nur annäherungsweise korrekt. Zum einen umfasst die islamische Normenlehre nicht nur zwischenmenschliche Verhaltensregeln, sondern auch rituelle Gebote und geht damit inhaltlich über das hinaus, was gemeinhin als Gegenstand des Rechts aufgefasst wird. Zum anderen enthält sie neben zwingenden Regelungen auch „Soll-Bestimmungen“, deren Befolgung Gott belohnt, deren Missachtung er aber nicht straft, und umfasst insofern neben rechtlichen auch religiös-ethische Normen. Auch die innerislamisch-arabische Begrifflichkeit legt eine Übersetzung mit „Recht“ nicht nahe: Die Bezeichnung für das Normensystem als Ganzes ist šarīʿa, ein Begriff, der ursprünglich den „Weg zur Tränke“ bezeichnet, semantisch aber durch die Bildung aus der Wurzel š-r-ʿ zugleich auf die Offenbarung (šarʿ) verweist. Die Rechtswissenschaft wiederum wird als fiqh bezeichnet, wörtlich die „Einsicht“ – hier verstanden als das systematische Bestreben nach der Erkenntnis des normativen Willens Gottes. Der bedeutende Rechtsgelehrte al-Ġazzālī (gest. 1111 AD) definiert fiqh als „die Erkenntnis der offenbarten Urteile über die Handlungen der Verpflichteten“ (Ġazzālī, Mustasfā I, 4). Mit dieser Definition verbindet al-Ġazzālī den Anspruch der Rechtswissenschaft, jedwede Handlungsoption, vor die der Mensch in seinem Dasein potentiell gestellt ist, unter Bezugnahme auf die Offenbarung Gottes ethisch bewerten zu können (Ġazzālī, Mustasfā I, 6; Oberauer 2004, 27). Konkret hat sich die wissenschaftliche Ausgestaltung der islamischen Normenlehre indessen historisch auf bestimmte Kernbereiche konzentriert, was sich unter anderem in den „Kapiteln“ (abwāb, kutub) widerspiegelt, die Gesamtdarstellungen des fiqh üblicherweise enthalten. Zu diesen Kernbereichen gehören neben gottesdienstlichen Handlungen (rituelle Reinigung, Gebet, Almosenabgabe, Fasten, Wallfahrt) ökonomische Transaktionen, Erb- und Familienrecht, sowie verschiedene strafrechtliche Teilbereiche.

1. Einleitung und Überblick

Die Forschung zu Geschichte und Gegenwart des islamischen Rechts hat dessen literarischen Ausdrucksformen bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Rechtstexte werden in der Regel als Informationsquelle zur Rekonstruktion doktrinärer Inhalte herangezogen, die dabei als eine Art abstrakter Essenz aufgefasst werden – als eine Größe also, die unabhängig von einer bestimmten textlichen Ausdrucksform existiert und sich daher auch beliebig in andere Textformen überführen lässt.

Literarische Form und normativer Inhalt des Islamischen Rechts stehen jedoch in keinem zufälligen, beliebigen Verhältnis zueinander, dergestalt, dass sich die Juristen einer bestimmten Epoche ebenso gut auch anderer Ausdrucksformen hätten bedienen können. Vielmehr stehen die jeweils gewählten Textformen in einem unmittelbaren Bezug zur inneren Ordnung des Rechtsdiskurses, d.h. der ihm inhärenten Wissens- und Deutungshierarchie, seinen epistemologischen Grundvorstellungen, und den sich daraus ergebenden konkreten Verfahren der Feststellung und Durchsetzung von Recht. Die textliche Form ist also Manifestation einer bestimmten wissenssoziologischen und hermeneutischen Verfasstheit des Rechts.

Islamisches Recht ist kein positives Recht, d.h. keines, das durch einen textlichen Setzungsakt von Seiten einer autoritativen Instanz geschaffen wurde. Vielmehr entsteht es aus einem Deutungsdiskurs: dem kollektiven Bemühen von Muslimen, den normativen Willen Gottes zu ergründen. Weder die Inhalte, noch auch die Quellen, aus denen sich Gottes Wille erkennen lässt, sind dabei a priori vorgegeben. Sie entwickeln sich aus der Diskussion zwischen Muslimen und (zunehmend auch) Musliminnen, sind also diskursiv konstituiert und damit – jedenfalls theoretisch – unbegrenzt vielfältig und wandelbar.

In concreto freilich ist diese Offenheit zu jeder Zeit durch zwei Faktoren begrenzt: Einmal durch eine Tradition, auf die sich Akteure stets beziehen müssen, sofern ihre Aussagen überhaupt als gegenstandsrelevant wahrgenommen werden sollen, und zum anderen durch ein institutionelles Machtgefüge, das bestimmte Deutungen begünstigt und andere ausschließt. Beide Faktoren, Tradition und institutioneller Rahmen, mögen in unterschiedlichen historisch-räumlichen Konstellationen unterschiedlich stark wirken, fehlen aber nie ganz – auch nicht in der sog. „formativen Phase“ des islamischen Rechts, die sich in keinem konzeptionellen Vakuum vollzog.

Die hier angesprochenen Eigenschaften des Diskurses – die Ausbildung von Traditionen und institutionalisierten Deutungshierarchien – sind im Islam eng mit der Größe der sog. „Rechtsschule“ (arab. maḏhab, wörtlich „Weg/Pfad“) verbunden. Gerade die Rechtsschule wiederum manifestiert sich als Phänomen maßgeblich in der Produktion bestimmter Textformen, ja lässt sich vielleicht überhaupt am treffendsten als ein Geflecht aufeinander bezogener Texte beschreiben.

Konstitutiv für eine islamische Rechtsschule ist die Bezugnahme auf die Lehre einer oder mehrerer Personen als autoritativer Referenzpunkt, und zwar über mehrere Generationen von Lehrer-Schüler-Verhältnissen hinweg, so dass daraus eine Deutungstradition erwächst. Dieses Bezugnehmen auf andere, frühere, manifestiert sich in bestimmten literarische Formen, nämlich der des „Kommentars“ (šarḥ) und des „Auszugs“ (muḫtaṣar) – Textgattungen also, die immer schon auf bereits vorhandene Texte rekurrieren und dabei den Schreibenden selbst (den Autor) mehr oder weniger stark in den Hintergrund treten lassen (wenn auch oft nur scheinbar). Solche Texte schichteten sich in der Geschichte islamischer Rechtsschulen z.T. mehrfach übereinander, es entstanden also z.B. Auszüge zu Kommentaren (oder umgekehrt), oder Suprakommentare bzw. Supraauszüge. Das literarische Korpus einer islamischen Rechtsschule lässt sich insofern als ein mehrstöckiges Gebäude aufeinander bezogener Kommentare und Auszüge beschreiben, das sich zugleich als eine Art Genealogie abbilden lässt – ein Stammbaum mit unterschiedlichen Verzweigungen, die aber z.T. auch wieder in Synthesen zusammengeführt werden und die allesamt in der (tatsächlichen oder nur zugeschriebenen) Lehre des „Schulgründers“ wurzeln.

Diese in den Textformen Kommentar und Auszug angelegte Praxis des Immer-schon-Verweisens bewirkte zunächst, dass der rechtliche Deutungsdiskurs sich ordnete, in dem Sinne, dass an die Stelle vieler individueller Deutungsansätze wenige kollektive traten (eben „Schulen“). Zu diesem Bündelungseffekt tritt jedoch etwa ab dem 11. Jh. eine Hierarchisierung hinzu: zu Beginn ist der Rechtsschuldiskurs noch durch breite Meinungsvielfalt gekennzeichnet, und im Grundsatz bleibt die Überlieferung divergierender Ansichten auch in späteren Zeitschichten ein charakteristisches Element des Schulliteratur. Zunehmend werden jedoch bestimmte Positionen innerhalb des überlieferten Meinungsspektrums priorisiert, und dies wiederum mündet ab dem 14. Jh. in einen Konsens, dass bestimmte Autoren und Texte als Referenz für die maßgebliche Position innerhalb der Schule zu gelten hätten. Es kommt also zu einer Standardisierung der Schuldoktrin, die u.a. die Form einer Kanonisierung annimmt, hier verstanden als autoritative Fixierung auf bestimmte Texte.

Auch dieser Kanonisierungsprozess vollzieht sich, wie zu zeigen sein wird, nicht unabhängig von den literarischen Formen des Rechtsschuldiskurses, sondern ist durch die ‚genealogische‘ Struktur, wie sie Kommentar und Auszug als Textgattungen generieren, begünstigt: Die zum Kanon erhobenen Texte sind selbst Kommentare oder Auszüge, und ihre Stellung wird damit begründet, dass sie die frühere Tradition in unübertrefflicher Weise verarbeiten und gewissermaßen „besiegeln“. Ihre Autorität wiederum manifestiert sich u.a. dadurch, dass sie ihrerseits Kristallisationspunkte für Kommentar- und Auszugstätigkeit werden.

Die Kanonisierung bewirkte eine Vereindeutigung des Rechts und erhöhte damit dessen Kalkulierbarkeit. Sie führte aber auch zu einer Stabilisierung und begrenzte die Möglichkeiten, flexibel auf gesellschaftlichen Wandel zu reagieren. In der westlichen Islamforschung wurde sie gar als Erstarrung bewertet, die dazu geführt habe, dass das Recht zu großen Teilen gar nicht mehr praktisch umsetzbar war, so dass sich alternative, allerdings formaljuristisch unzureichend durchdrungene und damit defizitäre Normen und Regelungsmechanismen entwickelt hätten (etwa Gewohnheitsrecht oder „Kadijustiz“, also ein ad hoc nach Billigkeitserwägungen gesprochenes Recht, vgl. Weber 1922, 473; Schacht 1935, 214 f., 224 f., 228; Schacht 1964, 75). Diese extreme Bewertung wurde zwar in den letzten Jahrzehnten revidiert, und inwieweit die Kanonisierung tatsächlich zu einer Immobilisierung und Praxisferne des Rechts geführt haben, ist heute umstritten (Hallaq 1948; id. 1986). Der grundsätzliche Befund, dass die Kanonisierung eine Stabilisierung der Rechtsdoktrin bewirkte, lässt sich indessen kaum bestreiten (Oberauer 2022).

Eine neuartige Deutung dieses Befundes wurde indessen in der jüngeren Forschung vorgenommen, wobei diese Deutung wiederum auf einem Ansatz basiert, der den Blick auf die spezifischen und vielfältigen textlichen Artikulationsformen des islamischen Rechts richtet (Johansen 1999, Oberauer 1921, Oberauer 2022). Nach diesem Ansatz stellt die Kommentar- und Auszugsliteratur der Schulen nur eine von mehreren Schichten des Rechtsdiskurses dar, die jeweils durch unterschiedliche Genres bzw. Textformen repräsentiert werden und zwischen denen sich in der historischen Entwicklung des Rechts eine funktionale Differenzierung entwickelte. Die Kanonisierung und Stabilisierung vollzog sich in erster Linie auf der Ebene der Kommentar- und Auszugsliteratur und ist der spezifischen Funktion dieser Diskursschicht gezollt, die darin liegt, das doktrinäre Erbe einer Schule in Form eines paradigmatischen Bestandes an Problemen und Lösungen zu fixieren. Dieser paradigmatische Bestand diente als Referenzrahmen für die rechtliche Bewertung neuer und sich wandelnder sozialer Praktiken, ohne dass diese fortlaufende Bewertungsarbeit jedoch in den Kommentaren und Auszügen selbst nachhaltig sichtbar würde. Sie vollzieht sich vielmehr auf einer anderen Diskursebene, die sich in anderen Genres und Textformen manifestiert: In Responsa (fatāwā), Traktaten (rasāʾil), zum Teil in Zusammenstellungen von Maximen (qawāʿid), in den Textsorten der konkreten richterlichen Tätigkeit, wie etwa den Gerichtsakten (siǧillāt) und vermutlich auch in Form oraler Kommunikation, die uns als Quelle nicht mehr zugänglich ist. Der islamische Rechtsdiskurs wäre nach diesem Ansatz – insbesondere in der Zeit nach der Kanonisierung – als funktionales Zusammenspiel unterschiedlicher Genres und Diskursebenen zu verstehen.

In den folgenden Abschnitten soll dieses Modell genauer umrissen werden. Dies macht es erforderlich, zunächst einige grundlegende Informationen zu den historischen Ursprüngen und den epistemologischen Grundlagen des islamischen Rechts vorwegzuschicken. In einem zweiten Abschnitt wird dann die Genese, Entwicklung und Kanonisierung einer Rechtsschule anhand eines konkreten Beispiels, der šāfiʿitischen Schule, genauer dargestellt. In einem dritten Schritt wird die Diversifizierung von Genres und Diskursebenen dargestellt.

2. Ursprünge und epistemologische Grundlagen des islamischen Rechts

Rechtsschulen in der oben beschriebenen Form entstehen an der Schwelle zum 9. Jh. AD und sie repräsentieren nicht etwa den Ursprung, sondern bereits ein fortgeschrittenes Stadium der Rechtsentwicklung. Die vorangegangenen Stadien lassen sich allerdings heute nur mehr in Form mehr oder weniger hypothetischer Modelle rekonstruieren, was auch daran liegt, dass Recht in diesen Stadien noch kaum verschriftlicht wird und entsprechend wenige Quellen erhalten sind. Als nach wie vor maßgeblich gilt das in den 1960er Jahren entwickelte Modell Joseph Schachts (Schacht 1964), der den Ausgangspunkt für die islamische Rechtsentwicklung in der administrativen Praxis von Richtern (qāḍī) sieht, die von der Kalifendynastie der Umayyaden (reg. 661–750) in den wichtigsten Zentren des Kalifats eingesetzt wurden. Diese Richter orientierten sich an arabischem Gewohnheitsrecht, aber auch an den jeweiligen lokalen Rechtstraditionen ihrer Wirkungsstätten, wodurch viele sassanidische und provinzialrömische Rechtsvorstellungen in das islamische Recht Eingang fanden. Ein weiterer Impuls für die frühe Rechtsbildung waren administrative Regelungen des Herrschaftsapparats, und in einem gewissen, allerdings zunächst sehr beschränkten Umfang flossen auch normative Passagen des Koran in diese frühe richterliche Rechtsprechung mit ein.

Das spätere islamische Recht erwuchs aber nicht unmittelbar aus dieser richterlichen Praxis, sondern aus einer kritischen Rezeption derselben: Ende des 7. Jahrhunderts entstanden Kreise, die – zunächst informell und „privat“ – erste Schritte zu einer Verwissenschaftlichung islamischer Normvorstellungen unternahmen. Dazu gehörten zum einen Ansätze zu einer Systematisierung, weil aber jene Kreise wesentlich durch das Motiv angetrieben werden, Regeln für eine fromme Lebensführung zu artikulieren, bewirkte ihre Arbeit zugleich eine „Imprägnierung der Sphäre des Rechts mit religiösen und etischen Vorstellungen“ (Schacht 1964, 27). Es ist diese Entwicklungsphase, in der der Grundstein gelegt wird für die Verquickung von Recht und religiöser Ethik, die die islamische Recht bis heute prägt und es recht eigentlich zu einem „islamischen“ macht. Neben der rituellen Praxis und anderen alltäglichen Lebensbereichen wurde auch die Rechtsprechung der umayyadischen Richter zum Gegenstand der kritisch-systematischen Reflektion dieser „frommen Spezialisten“ (Schacht). Die kalifale Justizverwaltung reagierte auf diese Entwicklung damit, dass ab den ersten Dekaden des 8. Jahrhunderts Richter zunehmend aus eben diesen Spezialistenkreisen rekrutiert wurden, so dass die ursprünglich aus nicht-staatlicher Initiative hervorgegangene Verwissenschaftlichung des Rechts letztendlich auch die hoheitliche Rechtspflege bestimmen sollte (Schacht 1964, 26; Johansen 1997, 975, 987 ff.).

Auch aus der Tätigkeit jener frommen Spezialistenkreise entwickeln sich bereits Deutungstraditionen und damit „Schulen“. Nach dem schachtschen Modell sind diese „ancient schools of law“ aber zunächst regionale Schulen, wie etwa die medinensische, basrische oder kufische, die durch das vorherrschende Meinungsbild in den jeweiligen lokalen Zentren bestimmt sind und noch nicht durch den Bezug auf die Lehre einer bestimmten Person. Solche „personal schools“ entstehen erst in einem zweiten Entwicklungsschritt.

Bereits in den regionalen Schulen vollziehen sich indessen einige epistemologische Weichenstellungen, die gerade auch mit Blick auf die Herausbildung spezifischer Literaturformen von Bedeutung waren.

So entwickelten Rechtsgelehrte dieser Zeit in ihren Kontroversen um Deutungshoheit die Strategie, ihre eigene Position aufzuwerten indem sie sie prominenten, früheren Gelehrten in den Mund legten. Solcherlei Zuschreibungen ließ man mit der Zeit immer weiter zurückreichen, bis man schließlich begann, eigene Positionen bekannten Prophetengenossen oder – als ultimative Steigerung – dem Propheten selbst in den Mund zu legen. Aus dieser Praxis entwickelte sich eine wichtige Quelle des Rechts, die zugleich eine spezifische Textform ist: Das Hadith (von „ḥaddaṯa“, berichten, erzählen), bestehend aus einem sog. matn, i.e. der narrative Inhalt (z.B. „der Prophet sagte/pflegte so und so zu handeln…“), und der Überlieferungskette (isnād), also der für die Glaubwürdigkeit des Tradierten entscheidenden Information, wer die Information an wen weitergegeben hat. Das Hadithwesen entwickelte sich zu einer eigenen Disziplin mit eigenen Literaturformen (etwa verschiedene Formen von Hadithkompilationen, aber auch biographischen Lexika mit Informationen zu den Überlieferern). Es lässt sich als Subdisziplin des Rechts, zugleich aber auch der Theologie auffassen, hatte allerdings wohl noch weitere Ursprünge als juristische und theologische Kontroversen und weist auch inhaltlich über diese disziplinären Bereiche hinaus, trägt etwa auch Züge einer Erbauungsliteratur und beansprucht jedenfalls ein Eigenrecht jenseits dieser beiden Dachdisziplinen. Innerhalb des Rechts wiederum bildet das Hadithwesen eine Literaturschicht vom Rang einer Rechtsquelle und damit einen wichtigen Bezugspunkt für intertextuelle Verweise.

In seiner Funktion als Rechtsquelle tritt das Hadith ergänzend an die Seite des Koran, und gemeinsam bilden diese beiden die offenbarungstextliche Grundlage für das islamische Recht. Auch für den Koran gilt allerdings, dass seine zentrale Bedeutung als rechtlicher Referenztext erst durch die Tätigkeit der frommen Spezialisten voll etabliert wird. An die Stelle der sporadischen Koranrezeption durch die umayyadischen Richter tritt nun eine systematischere Auswertung des Textes nach seinem rechtlich verwertbaren Gehalt. Diese Entwicklung tangiert am Ende auch die Disziplin bzw. das Genre des Korankommentars (tafsīr), dessen Deutungsarbeit am Text nun durch eine rechtliche Komponente bereichert wird. Zu beachten ist an dieser Stelle allerdings, dass die Eigenschaft als Rechtsquelle nur eine von vielen Funktionen des Korans ist und er sich als Text für diese Funktion auch nicht unbedingt anbietet. Normative Aussagen machen einen eher geringen Teil des Textvolumens aus, und sie sind zumeist auch keine dezidierten rechtlichen Regelungen, sondern eher Aufforderungen zu einem rechtschaffenen Verhalten, das inhaltlich oft kaum präzisiert wird. Schacht spricht daher von einem „ethical attitude of the Koran towards legal matters” (Schacht 1964, 12). Die Folge ist, dass der Koran zwar – wegen seiner Eigenschaft als unmittelbares Wort Gottes – als Rechtsquelle meist vor dem Hadith genannt wird, in seiner tatsächlichen Bedeutung für die Rechtsschöpfung aber hinter letzteren deutlich zurücksteht. Das Hadith nämlich enthält nicht nur sehr viel mehr, sondern meist auch sehr viel prägnantere rechtliche Aussagen.

An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass die Islamisierung des Rechts, wie sie von den frühen Spezialisten angestoßen und durch die regionalen Schulen fortgeführt wird, sich vor allem in der Bestimmung der Quellen des Rechts manifestiert: Das Recht rekurriert nun in wachsendem Maße auf Koran und Prophetenüberlieferung, mithin auf religiöse Quellentexte. Diese Fokussierung wird am Ende zu einer exklusiven: Zur Zeit der regionalen Rechtsschulen ist die wichtigste Methode der Rechtsfindung noch der sog. „ra’y“ (wörtlich „Sichtweise, Ansicht“), womit man eine nach systematischen oder rationalen Gesichtspunkten gebildete Rechtsauffassung bezeichnete. Spätestens mit aš-Šāfiʿī (st. 820 AD) wird jedoch der Gedanke formuliert, dass der raʾy (bzw. der istiḥsān, wie aš-Šāfiʿī ihn nennt) keine fundierte Methode sei, den göttlichen Willen zu ergründen, und dass dies ausschließlich durch eine Bezugnahme auf den Offenbarungstext möglich sei (Oberauer 2004, 209–243). Diese epistemologische Zentrierung auf Offenbarungstexte ist der Grundstein für die klassische Rechtshermeneutik (uṣūl al-fiqh), die mit aš-Šāfiʿī ihre früheste uns bekannte literarische Artikulation findet und die sich in den folgenden Jahrhunderten zu einer juristischen Teildisziplin mit eigenen literarischen Ausdrucksformen entwickelte.

3. Die Entstehung und Struktur personeller Rechtsschulen am Beispiel der Šāfiʿiten

Aus der Phase der regionalen Schulen sind uns keine Schriftzeugnisse erhalten, was auch daran liegt, dass Rechtswissenschaft zu dieser Zeit vorwiegend mündlich betrieben wurde. Die Entstehung der personellen Schulen hingegen fällt mit dem Einsetzen einer schriftlichen Literaturproduktion zusammen. Das ist kein Zufall, denn Schriftlichkeit ist geradezu die Voraussetzung für die Herstellung intertextueller Bezüge, die für die Genese einer (personalen) Rechtsschule konstitutiv ist. Begünstigt wurde die Verschriftlichung der Rechtswissenschaft wohl nicht zuletzt dadurch, dass im 9. Jh. Papier als billigere und praktischere Alternative zu Pergament weithin verfügbar wurde (El Shamsy 2013, 157, 182).

Am Beispiel der Šāfiʿiten soll in den folgenden Abschnitten exemplarisch aufgezeigt werden, wie sich Rechtsschulen durch die Entstehung einer Auszugs- und Kommentarliteratur konstituierten und wie dieser Prozess schließlich in eine Kanonisierung mündete. Wie viele solcher Schulen historisch existiert haben, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Wir wissen von einigen, die nicht überdauert haben – etwa den Ẓāhiriten oder der des al-Awzāʿī – doch könnte es viele weitere gegeben haben, die schlichtweg in Vergessenheit gerieten. Langfristig überdauert haben die vier sunnitischen Rechtsschulen (Mālikiten, Ḥanafiten, Šāfiʿiten und Ḥanbaliten) sowie eine schiitische (Ǧaʿfariten) und eine ibāḍitische Rechtstradition.

3.1. Aš-Šāfiʿī und seine Schüler: Die formativen Textschichten

Vom Namensgeber der Schule, Muḥammad ibn Idrīs aš-Šāfiʿī (767–820), sind uns keine unmittelbaren Schriftzeugnisse erhalten – ein Befund, der auch für die Eponyme der drei anderen sunnitischen Rechtsschulen gilt. Kenntnisse von aš-Šāfiʿīs Lehre wurden der Nachwelt durch seine Schüler vermittelt, zum Teil auch in schriftlicher Form, wodurch erstmals eine šāfiʿitische Literatur entsteht: Das sind zum einen das Kitāb al-Umm, das vermutlich auf al-Rabīʿ ibn Sulaymān al-Murādī (gest. 884) zurückgeht, zum anderen zwei Schriften von Isma'il ibn Yahya al-Muzanī (ca. 792–877) und al-Buwayṭī (gest. 846), die beide den Titel Muḫtaṣar („Auszug“) tragen.

Gemeinsam ist diesen drei Werken zunächst ein kompilatorischer Charakter: Die Autoren tragen alle Informationen über aš-Šāfiʿīs Lehre zusammen, die ihnen verfügbar sind, wobei sie über die Quellen dieses Wissens nur wenig Auskunft geben. Im Fall des Kitāb al-Umm geht der Text über diesen Sammlungscharakter auch kaum hinaus: Anmerkungen des Verfassers finden sich nur wenige, das Material ist relativ ungeordnet, oft langatmig und bisweilen redundant.

Etwas anderes gilt hingegen für die beiden Muḫtaṣars, insbesondere den des al-Muzanī: Die von aš-Šāfiʿī überlieferten Positionen sind hier ein Material, mit dem die Autoren „arbeiten“: Sie bringen es in eine kohärente Anordnung und kommentieren es z.T. ausgiebig. Dabei dienen diese Kommentare nicht allein der Klärung und Erläuterung, sondern auch einer Art deutender Fortbildung des Materials, für das die spätere Tradition den Begriff taḫrīǧ (wörtl. „Extraktion“) geprägt hat.

Diese Form der Rechtsfortbildung lässt sich exemplarisch an einer konkreten Diskussion in frühen šāfiʿitischen Texten veranschaulichen: Der Frage, welche Arten von Gütern als Gründungskapital für eine Handelsgesellschaft (šarika) dienen dürfen. Im Kitāb al-Umm findet sich dazu lediglich die Auskunft, dass die Kapitalanteile „vermengt werden“ (ḫuliṭa) müssen (Rabīʿ, Umm IV, 487). Al-Buwayṭī fügt hinzu, aš-Šāfiʿī habe die Handelsgesellschaft mit Dinaren oder Dirhams (den handelsüblichen Gold- bzw. Silbermünzen) akzeptiert, sofern jeweils nur eine dieser beiden Währungen verwendet werde, während er Handelsgüter (ʿurūḍ) nicht akzeptiert habe (Buwayṭī, Muḫtaṣar, 667).

Al-Muzanī wiederum führt dieselbe Rechtsauffassung an, weist sie jedoch nicht als Ansicht aš-Šāfiʿīs aus, sondern als „das, was der Ansicht aš-Šāfiʿīs ähnlich sähe“ (allaḏī yušbihu qawl aš-Šāfiʿī, vgl. Muzanī, Muḫtaṣar, 150). Wir haben es also mit einer Schlussfolgerung vor dem Hintergrund einer angenommenen Logik innerhalb der überlieferten Positionen des Schulgründers zu tun, und al-Muzanī liefert auch einen Hinweis darauf, worin er diese Logik sieht: Weder Handelswaren seien als Kapital akzeptabel, noch irgendein Gut, dessen Marktwert bei der Auflösung der Gesellschaft geschätzt werden müsste, „denn der Marktwert verändert sich“ (Muzanī, Muḫtaṣar, 150). Wie dies zu verstehen ist, erläutert in einem Kommentar zu al-Muzanī’s Muḫtaṣar der spätere Šāfiʿīt al-Māwardī (972–1058): Die Problematik von Handelswaren liege darin, dass sie nicht vermengt werden können, und sich zugleich in ihrem Wert unterschiedlich entwickeln. Dadurch lassen sich die Kapitalanteile mitsamt der durch sie bewirkten Gewinn- oder Verlusteffekte den jeweiligen Gesellschaftern zuordnen, deren individuelle Rendite zudem unterschiedlich ausfalle. Dinare und Dirhams hingegen haben keinen schwankenden Marktwert, sondern sind selbst der Maßstab für Marktwert. Zudem lassen sie sich so vermengen, dass sie keinem einzelnen Gesellschafter mehr zuordenbar sind (Māwardī, Ḥāwī, VI, 474).

Wie diese Erläuterung verdeutlicht, stützte al-Muzanī seine Mutmaßung über das, was aš-Šāfiʿī’s Lehre „ähnle“, auf dessen Aussage, dass die Kapitalanteile „vermengt werden“ müssen – eine Aussage, die er zugleich in einer bestimmten Weise interpretiert: Die Vermengung deutet er als ein Erfordernis der Gerechtigkeit, die verletzt sei, wenn die Gesellschafter das Gewinn- und Verlustrisiko nicht gleichmäßig tragen.

Al-Muzanīs Deutung der Aussage aš-Šāfiʿīs sollte zum Ausgangspunkt weiterer Schlussfolgerungen werden: Etwa zu Beginn des 10. Jahrhunderts findet sich in der šāfiʿitischen Literatur der Gedanke, dass Handelswaren als Kapital eben doch akzeptabel seien, sofern sie nur fungibel seien. Dann nämlich ließen sie sich ebenso gut vermengen wie Münzen und würden sich auch im Wert nicht unterschiedlich entwickeln. Diese Sichtweise avancierte schnell zur vorherrschenden Ansicht in der Schule, während der generelle Ausschluss von Handelswaren zu einer Mindermeinung wurde, ungeachtet dessen, dass al-Buwayṭī sie explizit als Position aš-Šāfiʿīs ausgewiesen hatte.

Das Beispiel verdeutlicht die Art und Weise, in der die Schüler aš-Šāfiʿīs und auch spätere Generationen auf dessen Lehre Bezug nahmen: Das von aš-Šāfiʿī überlieferte Material war deutungsoffen und unvollständig, und es zu einem kohärenten System auszubauen, das dennoch dem „Geist“ des Schuleponyms gerecht wurde, erforderte eine Art „Šāfiʿī-Exegese“ im Sinne einer kreativen interpretatorischen Ausweitung seines Erbes. Das Beispiel zeigt zudem, dass diese Deutungsarbeit bisweilen auch zu Ergebnissen führen konnte, die den explizit von Šāfiʿī überlieferten Aussagen widersprachen. Drittens zeigt das Beispiel, dass eine Folge dieser Deutungsarbeit die Herausbildung innerschulischen Dissens war. Solche divergierenden Schlussfolgerungen aus der Lehre Šāfiʿīs werden als wuǧūh (Sg. waǧh, wörtl. „Sichtweise, Standpunkt“) bezeichnet, und die Gelehrtengenrationen, die sie hervorbrachten, als aṣḥāb al-wuǧūh („Leute der Standpunkte“).

Zu den bemerkenswertesten Aspekten früher šāfiʿitischer Literatur gehört eine gewisse Nachlässigkeit in der Art und Weise, in der aš-Šāfiʿīs eigene Aussagen überliefert werden: Es bleibt oft unklar, wo die Wiedergabe der Position aš-Šāfiʿīs endet und die der eigenen beginnt, so wie meist auch nicht klar ist, ob aš-Šāfiʿī wörtlich zitiert oder seine Ansicht nur paraphrasiert wird. Melchert geht so weit, zu vertreten, dass Ansichten, die mit „Es sagt aš-Šāfiʿī“ eingeleitet werden, in der frühen šāfiʿitischen Literatur durchaus auch Ergebnisse bloßer Spekulation im Sinne des oben beschriebenen taḫrīǧ sein können (Melchert 2004, 297 f.; diese Mehrdeutigkeit von „es sagt aš-Šāfiʿī“ dürfte durch die Doppelbedeutung des arabischen „qāla“ als sowohl „sagen“ als auch „vertreten“ begünstigt gewesen sein). Derart nachlässiges Zitieren mag überraschen angesichts dessen, dass die Schuleponyme jedenfalls in der späteren Schultradition zu wahren Lichtgestalten des Wissens stilisiert wurden. Diese Nachlässigkeit rückt aber vielleicht nur das zentrale Anliegen der ersten Generationen von Šāfiʿiten in den Blick, das eben weniger in der getreuen Konservierung einer individuellen Rechtsauffassung lag, sondern vor allem darin, aš-Šāfiʿīs Lehre als gemeinsamen Bezugspunkt für ein kollektives und kohärentes Projekt der Rechtserkenntnis heranzuziehen. Ein freier und kreativer Umgang mit dem Erbe aš-Šāfiʿis war dem förderlicher als Zurückhaltung und Buchstabentreue.

3.2. Šāfiʿitische Literatur als „Genealogie“ von Kommentaren und Auszügen

Während uns Schriften der unmittelbaren Schüler aš-Šāfiʿīs zum Teil erhalten sind, sind die der darauffolgenden Generationen fast vollständig verloren, so dass sich die doktrinäre und literarische Entwicklung der Schule bis etwa ins 10. Jh. nur ansatzweise rekonstruieren lässt. Wir wissen jedoch, dass al-Muzanīs Muḫtaṣar in dieser Phase bei weitem das bedeutendste Referenzwerk šāfiʿitischer Rechtsgelehrsamkeit war, was unter anderem aus der hohen Zahl an Kommentaren hervorgeht, die in dieser Zeit zu diesem Text verfasst wurden (Oberauer 2022, 130–134). Einen engen Bezug zu al-Muzanīs Muḫtaṣar weisen schließlich auch einige Werke des 11. Jh.s auf, die für die weitere Entwicklung der Schulliteratur von eminenter Bedeutung sind, insofern sie ihrerseits mehrfach kommentiert wurden. Das sind zum einen zwei Schriften des Abū Isḥāq aš-Šīrāzī (gest. 1083), al-Muhaḏḏab und at-Tanbīh, die jeweils Auszüge zu Muḫtaṣār-Kommentaren früherer Autoren sind (nämlich dem Taʿlīq des Abū ṭ-Ṭayyib aṭ-Ṭabarī und dem gleichnamigen Werk des al-Isfarāyinī), zum anderen an-Nihāya des Imām al-Ḥaramayn al-Juwaynī (gest. 1085), ein Kommentar zu al-Muzanīs Muḫtaṣar, zu dem dann al-Ġazzālī (gest. 1111) den vielkommentierten Auszug al-Waǧīz verfasste. Die hier angeführten Werke nehmen insofern eine zentrale Stellung ein, als der bei weitem größte Teil der später als maßgeblich bewerteten šāfiʿitischen Literatur auf eines dieser Werke zurückgeht, in dem Sinne, dass es ein Kommentar oder Auszug zu einem dieser Werke ist, oder zu einem Kommentar oder Auszug zu einem dieser Werke, etc. (die Verkettung geht oft über mehrere „Generationen“). Šāfiʿitische Literatur lässt sich insofern sehr weitgehend als eine Art „Stammbaum“ abbilden, mit al-Muzanīs Muḫtaṣar als Ahnherren und zwei genealogischen Hauptlinien, die auf aš- Šīrāzī bzw. al-Ġazzālī zurückgehen (Oberauer 2022, 130 f.).

3.3. Die Textgattung Kommentar: Formen und Funktionen

Um Bedeutung und Tragweite dieser Genealogie richtig zu bewerten, muss jedoch die Art der ‚Verwandtschaft‘, die durch Kommentieren oder Extrahieren hergestellt wird, genauer in den Blick genommen werden. Der bloße Begriff „Kommentar“ bzw. „Auszug“ ist dazu zu unbestimmt, zumal sich der Charakter der so bezeichneten Werke, wie wir sehen werden, erheblich wandelte.

Vor allem frühe Kommentare zeichnen sich durch einen eher losen Bezug zum kommentierten Text aus. Oft werden ganze Absätze des Grundtextes schlicht reproduziert, worauf der Kommentator dann zu eigenen Ausführungen ansetzt, die sich zum Teil sehr weit vom Grundtext lösen. Beispiele für diese Vorgehensweise sind die Taʿlīqa des Abū ṭ-Ṭayyib aṭ-Ṭabarī (gest. 450/1058), al-Ḥāwī al-kabīr des al-Māwardī (gest. 450/1058), an-Nihāya des al-Ǧuwaynī (gest. 478/1085) das Kitāb al-ʿAzīz des ar-Rāfiʿī (gest. 623/1226), oder al-Maǧmūʿ des an-Nawawī (gest. 676/1277). Die Funktion des Grundtextes beschränkt sich in diesen Werken weitgehend darauf, eine Struktur relevanter Probleme und Lösungen vorzugeben, und die Kommentare leisten oft eine Erweiterung und Verbesserung dieser Struktur. Das kann der Herstellung höherer Kohärenz dienen, etwa, indem der Kommentator wesentliche Distinktionen herausarbeitet, die einer Rechtsauffassung zugrunde liegenden Prinzipien klarer sichtbar macht, oder auch eine stimmigere Gliederung des Materials vornimmt. Häufig aber erweitern frühe Kommentare die im Grundtext vorgefundenen Problemanalysen auch durch neue Aspekte. So ist die oben angesprochene Diskussion, inwieweit eine Gesellschaft nur mit Dinaren und Dirhams, oder aber auch mit anderen fungiblen Gütern gebildet werden könne, in Kommentaren ab dem 12. Jh. regelmäßig um die Fragestellung erweitert, wie denn in diesem Zusammenhang ungemünztes Gold und Silber zu bewerten sei, und wie andererseits Münzen mit unedlen Beimischungen (Oberauer 2022, 139, 177). Solche thematischen Erweiterungen wiederum hängen wesentlich mit dem oben angesprochenen Phänomen des taḫrīǧ zusammen, also der deduktiven Ausweitung der Schuldoktrin, durch die immer neue Problemfelder erschlossen wurden. Zur Funktion von Kommentaren gehört nicht zuletzt, dieses Wachstum einzufangen und abzubilden.

Dieser lose, kreative und erweiternde Bezug früher Kommentare zu ihren Grundtexten relativiert die Tragweite der oben herausgestellten „genealogischen“ Verflochtenheit šāfiʿitischer Literatur. Jedenfalls bewirkte der systematische Bezug auf frühere Texte zunächst keinerlei Erstarrung der Doktrin. Ebenso wenig bedeutete das Kommentieren eine Verengung der Perspektive auf den jeweils kommentierten Text oder eine bestimmte genealogische Linie. Im Gegenteil gehört es gerade zu den Kernfunktionen früher Kommentare, wichtige Diskussionen und Meinungen, die im Grundtext fehlen, zu ergänzen und somit die Vollständigkeit der Tradition zu sichern.

Der wichtigste Effekt des Kommentierens als zentralem Arbeitsmodus war eine Art innerschulische Verständigung auf einen relevanten Fundus an Problemstellungen und Lösungen. Dieser Fundus ist im Kuhnschen Sinne paradigmatisch, insofern er die Disziplin einer wissenschaftlichen Gemeinschaft definiert: Šāfiʿit wird man nicht erst und ausschließlich durch eine bestimmte Rechtsauffassung, sondern durch die Teilhabe an einer vorstrukturierten Diskussion. Der Kommentar ist der Modus dieser Teilhabe.

Maßgeblich bestimmt wird dieser paradigmatische Fundus durch das vom Eponym der Schule überlieferte Material. Das hat unter anderem zur Folge, dass sich die Diskurse der Schulen bisweilen um bestimmte Problemkomplexe verdichten, die in anderen Schulen nur am Rande oder gar nicht behandelt werden, auch oft peripher erscheinen, zu denen aber vom Schuleponym besonders reichhaltige Überlegungen tradiert sind. Das Kommentieren schafft also eine gewisse „Pfadabhängigkeit“ von den thematischen Schwerpunktsetzungen in der formativen Phase, wie auch von zentralen doktrinären Weichenstellungen (Oberauer 2022, 205–208).

Allerdings lässt sich zugleich eine gegenläufige Entwicklung beobachten: Der starke Fokus früher Kommentatoren auf die überlieferten Aussagen aš-Šāfiʿīs weicht mit der Zeit einer breiteren und zugleich diffuseren Perspektive auf die Tradition der Schule als ganzer. Wie schon bemerkt, lässt sich schon in frühen šāfiʿitischen Werken oft nicht recht unterscheiden, welche Aussage auf aš-Šāfiʿī zurückgeht, und welche auf den Autor. Spätestens im 11. Jh. werden Rechtspositionen dann regelmäßig als anonymisierte Schuldoktrin präsentiert, und nur Mindermeinungen werden bisweilen noch bestimmten Personen zugeordnet. Manchmal werden Position als „naṣṣ“ (wörtlich: „Text/überlieferte Aussage“) ausgewiesen, also als unmittelbar auf aš-Šāfiʿī zurückgehende Ansichten, und so gegenüber der Erweiterungsarbeit durch die aṣḥāb al-wuǧūh abgegrenzt und hervorgehoben. Direkte Zitate, wie sie al-Muzanī, al-Buwayṭī oder al-Rabīʿ noch anführen, finden sich in dieser Zeit aber nur mehr selten. Längst hat sich der Schuldiskurs von einer Šāfiʿī-Exegese zu einem kollektiven Projekt der Rechtsdeutung verlagert.

3.4. Die Textgattung Auszug und die Symbiose von Auszügen und Kommentaren

Während Kommentare eine expansive Verarbeitung eines Grundtextes darstellen, nutzten islamische Juristen mit dem „Auszug“ (muḫtaṣar, seltener talḫīṣ) auch eine Textform, die den Grundtext verkürzt und verdichtet. Die Genealogie šāfiʿitischer Literatur ist im Grunde ein Hin und Her zwischen solchen expansiven und verdichtenden Textverarbeitungen, denn oft waren es gerade Auszüge, die dann wieder kommentiert wurden.

Allerdings lässt sich gerade für frühe Text oft nicht eindeutig sagen, ob sie eher Kommentare oder Auszüge darstellen, und die Titel sind in dieser Hinsicht irreführend. Die beiden Muḫtaṣārs des al-Buwayṭī und des al-Muzanī etwa beziehen sich, wie schon erwähnt, auf keinen spezifischen Grundtext, sondern sind Sammlungen des von aš-Šāfiʿī verfügbaren Materials, das die Autoren zum Teil durch eigene Schlussfolgerungen erweitern. Wie der frühe Kommentar ist also auch der frühe muḫtaṣar noch wenig durch genrespezifische Merkmale und Erwartungen geprägt und die Funktionen der beiden Textgattungen überlagern sich noch: Es geht in erster Linie darum, den tradierten und fortlaufend wachsenden Fundus paradigmatischer Probleme und Lösungen möglichst kohärent zu strukturieren.

Mit der Zeit hingegen tritt das verdichtende Moment des muḫtaṣar immer stärker in den Vordergrund, und ab Mitte des 11. Jh.s entstehen Auszüge, die so stark verdichtet sind, dass sie aus sich selbst kaum mehr verständlich sind (z.B. at-Tanbīh des aš-Šīrāzī, al-Matn des Abū Šuǧāʿ, al-Muḥarrar des ar-Rāfiʿī, Minhāǧ aṭ-ṭālibīn des an-Nawawī). Solche Texte richten sich an Leser, die mit den doktrinären Inhalten der Schule bereits vertraut und in der Lage sind, die Verdichtungen rückwärts nachzuvollziehen und den Text gewissermaßen zu „entpacken“.

Mit der zunehmenden Dichte von Auszügen verändert sich zugleich der Charakter von Kommentaren und es kommt zu einer symbiotischen Funktionsdifferenzierung: Kommentare zu stark verdichteten Texten haben maßgeblich die Funktion, jenes „Entpacken“ vorzuexerzieren. Dieses funktionale Zusammenspiel manifestiert sich auch in einem gewandelten textlichen Erscheinungsbild der Kommentare: Wird in frühen Kommentaren der Grundtext noch absatzweise wiedergegeben und mit längeren, oft relativ eigenständigen Einschüben durchzogen, wird etwa ab dem 14. Jh. der Wortlaut des Grundtextes in den des Kommentars eingeflochten – zur Distinktion meist in fetter oder roter Schrift – so dass der Kommentar auch im syntaktischen Sine eine Erweiterung des Grundtextes ist (vgl. etwa Kifāyat an-nabīh des Ibn ar-Rifʿa; Bidāyat al-muḥtāǧ des Ibn Qāḍī Šuhba; Kanz ar-Rāġibīn des al-Maḥallī; al-Iqnāʿ des aš-Širbīnī).

Handschrift des Werkes Tuḥfat al-muḥtāǧ des Ibn Ḥaǧar al-Haytamī (gest. 1567), eines bedeutenden Kommentars zum Minhāǧ aṭ-ṭālibīn des an-Nawawī (gest. 1277), mit anonymen Randglossen. Der kommentierte Text ist rot geschrieben. Das Manuskript ist Teil der Sammlung des Instituts für Arabistik und Islamwissenschaft der WWU Münster. Foto: Monika Springberg.

Zur Illustration gebe ich im Folgenden einen Abschnitt aus der Nihāya des ar-Ramlī (gest. 1596), einem Kommentar zum Minhāǧ aṭ-ṭālibīn des an-Nawawī (gest. 1277), wieder. Er handelt erneut von dem oben angesprochenen Problem, welche Güter als Gründungskapital einer Gesellschaft dienen können. Den Grundtext setze ich durch Unterstreichung und geschweifte Klammern vom Gesamttext ab.

Eine Gesellschaft {[sie] lässt sich mit allem Fungiblen bilden}, unstrittig mit reinem Geld und nach vorherrschender Ansicht auch mit Geld, das unedle Beimischungen enthält, sofern es gängig ist, denn durch Vermengung wird es untrennbar wie [anderes] Geld. Dazu [i.e. zum Geld, N.O.] gehört auch ungemünztes Gold oder Silber, wie im Kapitel über unrechtmäßige Aneignung noch erklärt wird. Wenn al-Maḥallī [ein weiterer Kommentator zu al-Nawawīs Minhāǧ, N.O.] schreibt: „[die Gesellschaft] ist nicht statthaft mit ungemünztem Gold und Silber, und in der Tatimma [des al-Mutawallī] wird eine Gegenansicht (waǧh) angeführt“, so ist das von einer Minderheitenposition hergeleitet, laut der nur gemünztes Geld statthaft ist. Freilich kann man [al-Maḥallīs Aussage] auch dahingehend deuten, dass sie sich auf eine bestimmte, aber [von al-Maḥallī] nicht genauer ausgewiesene Art von ungemünztem Gold und Silber bezieht [wie es ein anderer bedeutender Kommentator des Grundtextes tut, nämlich Ibn Ḥaǧar al-Haytamī in Tuḥfa, V, 286, N.O.];
{nicht mit schätzbaren Gütern (mutaqawwim)} [i.e. Güter, deren individueller Marktwert geschätzt werden muss, weil sie nicht fungibel sind], weil sie sich als unterscheidbare Einzelstücke nicht vermischen lassen, und solange das der Fall ist, kann eine Gesellschaft nicht zustande kommen, denn geht ein Stück unter, so geht dies ausschließlich zu Lasten des beisteuernden Partners.
{und es wird vertreten: nur mit gemünztem Geld} ohne unedle Beimischung, wie bei der stillen Gesellschaft [i.e. einem anderen Vertragstyp, N.O.], und wenn der Begriff „Geld“, wie es nach einer von zwei fachterminologischen Verwendungsformen der Fall ist, per se nur gemünztes Gold und Silber umfasst, so dient [an-Nawawīs] Zusatz „gemünzt“ hier nur der zusätzlichen Verdeutlichung. (Ramlī, Nihāya, V, 7)

Das Zitat verdeutlicht zunächst Form und Ausmaß der Verdichtung, wie al-Nawawī sie im Grundtext vornimmt. In nicht mehr als 18 Wörtern (10 im arabischen Original) führt er die wichtigsten Distinktionen auf, die die Diskussion strukturieren: Die Begrenzung auf Geld, die Ausweitung auf alles Fungible und der Ausschluss aller nichtfungiblen Güter. Zugleich wird durch die Formulierung indiziert, welche der angedeuteten Positionen vorherrscht (es ist stets die zuerst genannte). Andeutungsweise wird auch eine weitere Distinktion adressiert, nämlich die Unterscheidung zwischen gemünztem und ungemünztem Gold und Silber, die allerdings erst im Kommentar explizit behandelt wird. Schließlich verweist die Formulierung „nicht mit schätzbaren Gütern“ implizit auch schon auf die Begründungslogik der vorherrschenden Position – jener oben dargelegten Überlegung, dass die individuelle Wertentwicklung nichtfungibler Einzelstücke zu einer ungleichen Rendite der Gesellschafter führen könne.

Insgesamt freilich bleibt die innere Logik der wiedergegebenen Doktrin in der gerafften Darstellung des Grundtextes weitgehend außen vor, und eben darin liegt ein wichtiger Informationsbestand, den der Kommentar liefert.

Zudem fügt der Kommentar mit der Behandlung von unreinen Münzen (maġšūš) sowie ungemünztem Gold und Silber (tibr) eine weitere, feinere Analyseebene hinzu. Die systematische Bedeutung dieser beiden zusätzlichen Kategorien ergibt sich daraus, dass islamische Juristen „Geld“ (naqd) begrifflich und konzeptionell grundsätzlich mit Gold und Silber gleichsetzen. Dadurch werden Münzen mit Beimischungen zu einem problematischen Grenzfall von Geld (Oberauer 2018a, 438). Andererseits erfolgte die Gleichsetzung mit Gold und Silber nicht so konsequent, dass man in allen Zusammenhängen bereit war, ungemünztes Metall mit Münzen gleichzusetzen, so dass auch diese Form von „Geld“ einen problematischen Grenzfall darstellte.

Beide Grenzfälle werden nun vom Kommentator ausgelotet, und er behandelt sie im Lichte der bereits eingeschlagenen Begründungslogik: Unreine Münzen sind akzeptabel, weil sie sich ebenso gut vermengen lassen wie reine. Wie bei fungiblen Waren wird hier also auf die Vermengbarkeit abgestellt.

Ungemünztes Gold und Silber hingegen schlägt al-Ramlī mittels schlichter Subsumption den akzeptablen Kapitalgütern zu: Es ist statthaft, weil es eben „zum Geld gehört“. Streng genommen ist das zirkulär und keine wirkliche Begründung. Eben dies sollte später aš-Šabrāmallisī (gest. 1678) in einem Suprakommentar zu al-Ramlīs Nihāya kritisieren, um zugleich eine alternative Deutung anzubieten: Der eigentliche Grund für die Tauglichkeit von ungemünztem Gold und Silber sei, dass es fungibel sei (vgl. die Randglosse des aš-Šabrāmallasī in Ramlī, Nihāya, V, 7).

3.5. Die Herausbildung eines šāfiʿitischen „Standardtextes“

Wenn ar-Ramlī eine umfassendere und differenziertere Analyse anbietet als der Grundtext, so nicht etwa deshalb, weil er diese Differenzierungen erst selbst erschlösse. Ungemünztes Metall und unreine Münzen werden bereits von ar-Rāfiʿī (gest. 1226) thematisiert (Rāfiʿī, ʿAzīz, V, 188) und wenn an-Nawawī sie in seinem Minhāǧ nicht anspricht, so tut er es doch in seinem deutlich umfangreicheren Rawdat aṭ-Ṭālibīn (Nawawī, Rawḍa, IV, 276). Die Auslassung dieser Aspekte im Grundtext ist also ausschließlich der Kürze gezollt, und wenn ar-Ramlī sie nun wieder hinzufügt, so entfaltet er im Grunde nur das, was an-Nawawī bei der Abfassung des Grundtextes „weggefaltet“ hat. Auszüge und Kommentare lassen sich insofern nicht zuletzt als unterschiedlich weit entfaltete Gesamtdarstellungen der Schuldoktrin auffassen, die je nach Umfang eine unterschiedliche Detailschärfe aufweisen.

Die Motive für die Abfassung solcher unterschiedlich ausführlichen Darstellungen könnten didaktischer, vielleicht auch wissensorganisatorisch-praktischer Natur gewesen sein. Die Autoren mancher Auszüge schreiben im Vorwort explizit, die Länge des Grundtexts würde Fähigkeiten und Ausdauer vieler Studenten überfordern, und eben dies sei der Antrieb für die Abfassung des vorliegenden Texts gewesen (Oberauer 2022, 141). Wir haben zudem Hinweise, dass unterschiedlich ausgiebige Werke in unterschiedlichen Ausbildungsstufen studiert wurden (Loimeier 2009, 173–185). Gerade im Zusammenspiel mit Kommentaren können stark verkürzende Auszüge auch eine Art Indexfunktion erfüllen: Anhand des Grundtexts, der sich wie ein roter Faden durch den Kommentar schlängelt, lässt sich die einschlägige Stelle zu einem bestimmten Problem selbst in vielbändigen Werken vergleichsweise leicht auffinden – vor allem dann, wenn man den Grundtext memoriert hat. Das Zusammenspiel von Auszügen und Kommentaren ist insofern auch eine Form der Wissensorganisation, die es Studierenden, aber auch Praktikern erleichtern konnte, die Fülle rechtlicher Informationen zu bewältigen.

Neben didaktischen und wissensorganisatorischen Zwecken hatte die Abfassung von Auszügen und Kommentaren aber noch eine weitere Funktion, oder zumindest einen Effekt: Sie war ein kollektives Arbeiten an dem oben genannten paradigmatischen Fundus von Problemen und Lösungen. Die wiederholte Abfolge von Entfaltung und Kontraktion formte und schärfte diesen Fundus, insofern mit ihr eine Verständigung darüber erfolgte, welche Inhalte essenzielle Kernaussagen der Schuldoktrin darstellen, welche von sekundärer Bedeutung sind, und welche wiederum nicht zum festen Bestandteil der Tradition gehören und aus dem Überlieferungsstrom ausgesondert werden können. Diese Verständigungsarbeit führte zu einem Phänomen, das in der jüngsten Forschung als „Standardtext“ einer Schule charakterisiert wurde (Oberauer 2022, 148). Der Standardtext ist kein Text im Sinne einer stabilen, klar definierten Abfolge von Worten (auch wenn die Kommentarliteratur tatsächlich viele wiederkehrende Standardformulierungen enthält) und er lässt sich auch nicht klar einem oder mehreren Verfassern zuordnen. „Standardtext“ bezeichnet vielmehr jede sprachliche Abbildung des oben genannten paradigmatischen Fundus, die unterschiedlich verkürzt und vollständig ausfallen kann, die aber inhaltlich weitgehend standardisiert ist, auch wenn ihre konkrete Ausformulierung stark variieren kann. Der Standardtext trägt insofern Züge eines Kodex und ist, wie zu zeigen sein wird, mit der noch darzustellenden Kanonisierung des Rechts eng verschränkt, ist aber im Gegensatz zu einem Kodex sprachlich instabil. Damit ist er eine abstrakte, virtuelle Größe: ein mehr oder weniger klar umrissener Bestand doktrinärer Inhalte, der in jedem Auszug oder Kommentar sprachlich konkretisiert wird, ohne eine singuläre, verbindliche sprachliche Form aufzuweisen.

Zu dieser Standardisierung trägt letztlich auch ein weiteres Phänomen bei, das im oben zitierten Abschnitt aus ar-Ramlīs Nihāya erkennbar wird: Die diachrone Intertextualität, die im Akt des Kommentierens oder Extrahierens angelegt ist, wird durch eine synchrone ergänzt, indem ar-Ramlī auf verschiedene andere Kommentare zum Grundtext Bezug nimmt (konkret den des al-Maḥallī und den des Ibn Ḥaǧar). Im zitierten Ausschnitt dient das dazu, eine Position al-Maḥallīs zu thematisieren, die der vorherrschenden Meinung innerhalb der Schule zuwiderläuft (i.e. die Zurückweisung ungemünzten Metalls als Gründungskapital), und sie möglichst widerspruchsfrei im innerschulischen Meinungsgefüge zu verorten (konkret dadurch, dass sie als Deduktion aus einer Prämisse interpretiert wird, die ihrerseits eine anerkannte Mindermeinung ist).

Dieser abgleichende und ordnende Umgang mit innerschulischem Dissens ist ein wichtiger Aspekt der Standardisierung der Schuldoktrin. Bis in das 11. Jh. hinein präsentieren šāfiʿitische Kommentare dissentierende Meinungen innerhalb der eigenen Tradition noch meist ohne eine Gewichtung. In den folgenden Jahrhunderten werden aber zunehmend bestimmte Meinungen priorisiert, indem sie als „richtiger“ (aṣaḥḥ) oder – deutlich seltener – als „die richtige“ (aş-ṣaḥīḥ) ausgewiesen werden. Dass mit solchen Formulierungen vorwiegend komparative und also relative Bewertungen vollzogen wurden, spiegelt einen epistemologischen Skeptizismus wieder, der für die islamische Rechtshermeneutik charakteristisch ist: Den Menschen ist es nur selten möglich, Gottes Erwartungen mit Gewissheit zu erkennen. Rechtsfindung ist daher in den meisten Fällen eine Abwägung zwischen mehr oder weniger gut begründeten Vermutungen. Bis ins 11. Jh. betrachtete die Rechtshermeneutik diese Abwägung indessen als eine Entscheidung, die jeder Experte individuell für sich vollziehen musste (Oberauer 2004, 422–427, 288–305). Mit der Priorisierung bestimmter Positionen in der Kommentarliteratur deutet sich dagegen eine Verschiebung an: Die Abwägung zwischen dissentierenden Positionen wird nun als Aufgabe des Schulkollektivs aufgefasst (Oberauer 2022, 149 f.). Denn die Priorisierungen in den Kommentaren geben weniger die Präferenz der Autoren als vielmehr das Meinungsbild innerhalb der Schule wieder. Ar-Rāfiʿī und an-Nawawī etwa erklären in ihren Darstellungen explizit und programmatisch, dass sie in ihren Abwägungen der Mehrheitsmeinung innerhalb der Schule folgen, und diese Haltung spricht auch aus einigen Synonymen, mit denen die priorisierte Position oft gekennzeichnet wird, wie z.B. „das bekannte/verbreitete (al-mašhūr)“, „das in der Schule Gewählte (al-muḫtār fī l-maḏhab)“ oder sogar „die Schulmeinung (al-maḏhab)“ – ein Begriff, der nicht etwa die einzige, sondern lediglich die vorherrschende Schulmeinung bezeichnet (vgl. Oberauer 2022, 150). Es findet also eine Verständigung innerhalb der Schule statt, welcher von mehreren Positionen innerhalb der Überlieferungstradition der Vorzug zu geben ist. Das führt in der Regel nicht dazu, dass die nicht-präferierte Position verworfen oder aus der Überlieferung „aussortiert“ wird: Die Priorisierung wird vielmehr selbst als Information in den Standardtext integriert, inklusive der nachrangigen Position, so dass der paradigmatische Fundus von Problemen und Lösungsangeboten nicht etwa verkürzt, sondern lediglich hierarchisiert wird.

3.6. Die Kanonisierung des šāfiʿitischen Rechts

Die Herausbildung eines „Standardtextes“ einschließlich der Priorisierung von Positionen im Fall von Dissens lässt sich als eine Vorstufe der Kanonisierung verstehen. Der zunächst vielstimmige und im Ergebnis unscharfe Rechtsdiskurs ordnet sich auf diese Weise zu einer relativ eindeutigen Doktrin. Zu einer echten Kanonisierung fehlt im Grunde nur mehr die autoritative Aufwertung einer bestimmten, konkreten sprachlichen Artikulation des Standardtextes. Im šāfiʿitischen Recht erfolgt dieser Schritt durch einen sich herausbildenden Konsens, dass die Texte des an-Nawawī (st. 1277) und seines Lehrers ar-Rāfiʿī den Maßstab für die maßgebliche Schulposition darstellen. Šāfiʿitische Richter durften von diesen Positionen nicht abweichen, und dasselbe galt für Responsa (fatāwā), soweit die dort vertretene Position nicht explizit als Mindermeinung gekennzeichnet war. Abweichungen von der autoritativen Schulposition waren nach Ansicht der Juristen nur im Bereich der persönlichen Lebensführung statthaft (Oberauer 2022, 151 f.).

Warum es gerade ar-Rāfiʿī und an-Nawawī waren, die diese autoritative Aufwertung erfuhren, und wann genau sie sich vollzog, ist noch nicht hinreichend untersucht. Bereits im 14. Jh. lässt sie sich jedoch in der Literatur nachweisen: Nicht nur werden die „beiden Scheichs“, wie sie in der späteren Tradition oft genannt werden, in Texten dieser Zeit explizit als wichtigste Autoritäten hervorgehoben, sondern ihr Rang manifestiert sich auch darin, dass zahlreiche Kommentare zu ihren Texten entstehen. In der šāfiʿitischen Literatur selbst wird die Autorität dieser Texte damit begründet, dass sie eine unübertroffene Verarbeitung der vorangegangenen Schultradition darstellen (Oberauer 2022, 152).

Etwa zwei Jahrhunderte nach den „beiden Scheichs“ kam es in der šāfiʿitischen Schule zu einem zweiten Kanonisierungsschritt, der allerdings auf den ersten aufbaute und damit nur mehr eine gewissermaßen residuale Tragweite hatte. Erneut bildete sich ein Konsens über den autoritativen Vorrang bestimmter Texte, in diesem Fall der Tuḥfa des Ibn Ḥaǧar al-Haytamī (gest. 1567) und der oben bereits zitierten Nihāya des ar-Ramlī (gest. 1596), beides Kommentare zu an-Nawawīs Minhāǧ aṭ-Ṭālibīn. Die in diesen Texten vertretene Position ist immer dann ausschlaggebend, wenn die „beiden Scheichs“ sich zu einem Problem entweder nicht geäußert haben oder unterschiedliche Positionen vertraten (Oberauer 2022, 156). Wann und wie genau sich dieser Konsens herausbildete und warum er sich gerade auf diese beiden Werke bezog, dazu lässt der derzeitige Forschungsstand noch weniger Schlüsse zu als im Fall der „beiden Scheichs“.

4. Kanonisierung und Genrediversifizierung

Inwieweit sich die hier mit Blick auf die Šāfiʿiten dargestellten Befunde auf andere Rechtsschulen übertragen lassen, muss erst noch erforscht werden, doch es spricht vieles dafür, dass sich ähnliche Standardisierungs- und Kanonisierungsprozesse auch dort vollzogen (Fadel 1997, 51 f.; Peters 2005, 150 f.; Ayoub 2020, 70 f., 100–104). Einer weiteren Erforschung bedürfen insbesondere auch die Funktion und Tragweite dieser Prozesse. Wie schon erwähnt, hat man sie in der westlichen Forschung lange Zeit als Ausdruck einer Erstarrung des Rechts bewertet, die wiederum dazu führte, dass sich die tatsächlichen Rechtspraktiken von der Theorie entfernten, mit der Folge einer Art gewohnheitsrechtlichen Wildwuchses ohne formaljuristische Durchdringung. Dieser These ist in den letzten Jahrzehnten auf unterschiedliche Weise widersprochen worden (Hallaq 1984; id. 1986). Teil dieser Neubewertung ist insbesondere die Erkenntnis, dass die Auszugs- und Kommentarliteratur bzw. der darin reproduzierte „Standardtext“ nur eine von mehreren „Schichten“ (layers, Johansen 1999, 447 f.) der Rechtsliteratur darstellt. Daneben entstehen im Laufe der Zeit andere Genres und Textformen, die sich unter anderem auch durch einen engeren Praxisbezug auszeichnen und die zum Teil einen höheren Grad an Flexibilität aufweisen als der Standardtext. Die Kanonisierung muss insofern vor dem Hintergrund einer funktionalen Differenzierung zwischen unterschiedlichen Genres bzw. Diskursebenen bewertet werden, in denen der Kommentar- und Auszugsliteratur die spezifische Funktion der Stabilisierung und der Rückbindung an die Tradition zukommt. Um die Kanonisierungsprozesse richtig einzuordnen, muss daher der Blick auf das Zusammenspiel unterschiedlicher Genres bzw. „Schichten“ der Rechtsliteratur gerichtet werden. In der Forschung konnte zum Teil gezeigt werden, dass diese Schichten einer Art Vermittlungsarbeit zwischen den doktrinären Vorgaben des Standardtexts und den pragmatischen Anforderungen einer sich wandelnden Gesellschaft dienten. Dies ermöglichte, dass sich die Rechtspraxis von der Schuldoktrin bis zu einem gewissen Grade lösen konnte und dennoch einem juristischen Diskurs unterworfen blieb, der eine formaljuristische Durchdringung der Praxis sicherstellte (Oberauer 2021).

Diese jüngeren Forschungsansätze zeigen die Notwendigkeit einer genresensiblen Herangehensweise an islamische Rechtstexte, die das Augenmerk auf spezifische Funktionen einzelner Textgattungen wie auch auf ihr wechselseitiges Zusammenspiel richtet. Im Folgenden sollen einige Genres des islamischen Rechts vorgestellt werden, von denen einige in der bisherigen Forschung noch kaum Berücksichtigung gefunden haben.

4.1. Fatwās

Eines der ältesten Genres neben der Kommentar- und Auszugsliteratur sind fatwās (Sg. fatwā, Pl. fatāwā). Formal lassen sie sich als Rechtsauskunft eines Experten (muftī) beschreiben, die auf die Anfrage eines Laien (mustaftī) erteilt wird. Fatwās begründen keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch, können aber auch etwa von Richtern eingeholt werden (die dann in einem relativen Sinne die Position des „Laien“ einnehmen) und dann vermittels eines Urteils in durchsetzbare Ansprüche umgewandelt werden. Per se aber bindet das fatwā nur in religiös-ethischer Hinsicht: Wer es einholt und dann nicht befolgt, riskiert, sich zu versündigen.

Da fatwās nicht der Schriftform bedürfen und man zugleich davon ausgehen muss, dass religiös-rechtliche Konsultation in der ein oder anderen Form bis in die frühesten Zeitschichten des Islams zurückgeht, lässt sich ein Entstehungszeitpunkt dieses Genres nicht sinnvoll bestimmen. Mit der Zeit wurden fatwās aber auch verschriftlicht und es entstanden Sammlungen. Zudem entstand unter der Bezeichnung „adab al-futyā“ (in etwa: „Etikette der Auskunftserteilung“) ein Metadiskurs, in dem Regeln für das Erteilen von fatwās formuliert wurden (siehe dazu unten 4.7.).

Schwer zu beurteilen ist, in welchem Umfang die in Sammlungen zusammengefassten fatwās authentisch sind in dem Sinne, dass sie Antworten auf tatsächliche Anfragen zu realen Fällen und Problemen darstellen. In manchen Fällen liegt diese Annahme nahe, weil der Text ausgefallene Eigennamen und sehr detaillierte Sachinformationen enthält. Typischer Weise sind die in Sammlungen enthaltenen fatwās aber entpersonalisiert und abstrahiert, so dass sie nur noch die für die juristische Bewertung des Falls erforderlichen Informationen enthalten (zu diesem „Übersetzungsprozess“ vgl. Powers 1994, 333). Gerade angesichts dieser Abstraktion lässt sich wiederum nicht ausschließen, dass es sich oft um konstruierte Fälle handelt, die eher aus der systematischen Reflektion geboren sind als aus der Auskunftspraxis.

So oder so sind fatwās aber ein Genre, das gewissermaßen „zwischen“ der stark standardisierten Diskursebene der Kommentar- und Auszugsliteratur und der Rechtspraxis steht und zwischen beiden Ebenen vermitteln konnte. Hallaq hat die These vertreten, dass diese Vermittlung in beide Richtungen erfolgte: Nicht nur übersetzen fatwās die in der Kommentar- und Auszugsliteratur tradierte Schuldoktrin in die vielgestalten und wandelbaren Rechtsprobleme des Alltags, sondern umgekehrt leisten Fatwas eine Rechtsfortbildung, die dann in den Kommentaren resorbiert und in den Standardtext integriert wird (Hallaq 1994).

4.2. Rasāʾil

Ein noch kaum untersuchtes Genre sind rasāʾil (Sg. risāla), ein Begriff, der sich wörtlich mit „Sendschreiben“ übersetzen lässt, tatsächlich aber verschiedene Formen von Traktaten bezeichnet, die meist eher kurz und in der Form weitgehend frei sind. Rasāʾil sind kein spezifisch rechtliches Genre, erfüllen dort aber möglicherweise eine spezifische, sich aus dem Zusammenspiel mit anderen Textformen ergebende Funktion. Insbesondere das Verhältnis zur fatwā-Literatur bedarf einer genaueren Erforschung: Während fatwās stets Antwort auf eine Frage sind, die auch zu Beginn des fatwās textlich wiedergegeben sind, behandeln rasāʾil rechtliche Problemstellungen in freier Form. Weil aber die Anfrage in einem fatwā auch fingiert sein kann, umgekehrt die rasāʾil oft auch gerade aktuelle Probleme der Praxis behandeln, darf dieser formale Unterschied nicht überbewertet werden. Wichtiger ist möglicherweise, dass von fatwās erwartet wurde, dass sie die Schuldoktrin reproduzierten, während rasāʾil unter Umständen mehr Freiheit boten, eigenständige oder neue Rechtspositionen zu entwickeln. Zu dieser Hypothese würde der Befund passen, dass rasāʾil vor allem in osmanischer Zeit in großer Zahl entstehen – also einer Zeit, in der die Kanonisierung des Rechts sich bereits vollzogen hat.

4.3. Šurūṭ-Manuale

Der Rechtspraxis noch näher als fatwās stehen sog. šurūṭ-Manuale (Wakin 1972; Hallaq 1995). Šurūṭ (Sg. šarṭ) ist der arabische Begriff für Vertragskonditionen, und die so bezeichneten Manuale enthalten Mustertexte zur Erstellung von Verträgen oder anderen juristischen Dokumenten. In der Regel sind diese Mustertexte kaum in Erläuterungen eingebettet, etwa darüber, warum die vorgeschlagene Formulierung erforderlich ist, um den Vertrag „wasserdicht“ zu machen. Die Manuale dienten also offenkundig nicht als Forum für doktrinäre Erörterungen, sondern richteten sich an Praktiker, d.h. vor allem Gerichtsschreiber (muwaṯṯiqūn) und professionelle Zeugen (ʿudūl), die im vormodernen islamischen Gerichtswesen eine Art notarieller Funktion erfüllten, indem sie Verträge beglaubigten und in der Regel bei deren Abfassung halfen. Dass diese Manuale auch tatsächlich verwendet wurden, zeigt sich daran, dass die dort vorgeschlagenen Formulierungen regelmäßig auch in Dokumenten zu finden sind, die unmittelbar der Praxis entstammen, wie z.B. osmanische Gerichtsakten (siǧillāt, Sg. siǧill) oder private Vertragsdokumente (Oberauer 2021).

4.4. Iḫtilāf-Werke

Ein weiteres Genre, das noch nicht hinreichend untersucht ist, sind Werke, die systematisch doktrinären Dissens (iḫtilāf) abbilden, und zwar zumeist den zwischen Rechtsschulen, bisweilen aber auch den innerhalb einer solchen. Zu den ältesten Texten dieser Art gehören etwa Kitāb al-Ḥuǧǧa ʿalā ahl al-madīna des Muḥammad aš-Šaybānī (gest. 805) oder einige Abschnitte des bereits erwähnten Kitāb al-Umm des ar-Rabīʿ. Form und Anlage solcher Werke sind allerdings nicht homogen und wandeln sich über die Zeit, dasselbe gilt möglicherweise für ihre Funktion. Ibrahim sieht in ihnen eine Art Navigationshilfe für Praktiker in einem rechtlichen Umfeld, das durch Rechtsschulpluralismus geprägt war. In der Tat entwickelt sich ab dem 13. Jh. in vielen Regionen ein Rechtssystem, in dem Richter verschiedener Schulen Seite an Seite amtierten und in dem doktrinäre Differenzen sich im Sinne eines „forum shopping“ strategisch nutzen ließen – eine Praxis, die von den Juristen gebilligt und aktiv mitgetragen wurde (Ibrahim 2015, 38-49). Es liegt auf der Hand, dass das Wissen um zwischenschulischen Dissens unter diesen Umständen elementar war. Möglicherweise dienten iḫtilāf-Werke aber auch noch anderen Zwecken, zumal das Genre deutlich älter ist als die eben beschriebene, plurale Besetzung von Richterämtern. Die Texte lassen sich auch als literarisches Sediment eines Diskurses zwischen den Schulen auffassen, der nachweislich intensiv war. Die Demarkierung der Differenzen konnte das eigene Profil schärfen, konnte aber auch streitbare und apologetische Funktionen erfüllen, etwa wenn nicht nur der Dissens, sondern auch die Überlegenheit der eigenen Position dargelegt wird. In manchen iḫtilāf-Werken, wie etwa dem oben erwähnten Kitāb al-Ḥuǧǧa des aš-Šaybānī, ist diese polemische Absicht unverkennbar.

4.5. Maximen (qawāʿid)

Ein besonders interessanter Fall eines iḫtilāf-Werks ist Taʾsīs an-naẓar des ḥanafitischen Juristen ad-Dabūsī (gest. 1039). Dieser Autor beschreibt insbesondere auch den Dissens zwischen Abū Ḥanīfa, Abū Yūsuf und aš-Šaybānī, den drei wichtigsten frühen Autoritäten seiner Schule. Dabei geht es ihm darum, deren Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen auf einen Dissens hinsichtlich übergeordneter Prinzipien zurückzuführen, also die Grundsätze herauszuarbeiten, aus denen die divergierenden Doktrinen der drei jeweils folgten. Ad-Dabūsī leistet also eine Art induktiver Analyse des tradierten Materials seiner Schule (Oberauer 2018b, 155).

Eben das wiederum tun auch zahlreiche Texte, die in der Forschung meist mit dem Begriff der „Maximenliteratur“ zusammengefasst werden, wobei sich diese Texte – anders als der ad-Dabūsīs – meist nicht auf den Dissens konzentrieren, sondern auf die Schuldoktrin als Ganze. „Maximen“ (qawāʿid, Sg. qāʿida) stellen einen Versuch dar, die tradierten doktrinären Aussagen einer Schule auf allgemeine Grundsätze zurückzuführen. Eine bekannte Maxime lautet zum Beispiel, dass „Schaden nicht durch Schaden behoben wird“ (aḍ-ḍarar lā yuzālu biḍ-ḍarar), dass also eine rechtliche Maßnahme zur Schadensabwehr grundsätzlich nicht zulasten Dritter erfolgen darf. Typischerweise führen Texte dieses Genres wie eine Art Sammlung zahlreiche Maximen dieser Art an und illustrieren sie dann durch konkrete Einzelregelungen. Im Fall der Maxime zur Schadensabwehr wäre das etwa die Regelung, dass der Eigentümer eines Sklaven nicht dazu gezwungen werden kann, jenen zu verheiraten, denn der Schaden des Sklaven (seine Ehelosigkeit) wäre hier durch einen Eingriff in die Verfügungsrechte des Eigentümers behoben, der damit seinerseits geschädigt würde (Oberauer 2018b, 159).

Die Funktion von Maximen ist noch nicht hinreichend untersucht. Die Annahme liegt nahe, dass sie eine hermeneutisch-epistemologische Funktion hatten, dass man also aus den induktiv hergeleiteten, allgemeinen Grundsätzen neue doktrinäre Aussagen deduzierte, etwa bei der Beurteilung neu auftretender Sachverhalte. Sollte sich diese Annahme bestätigen, dann würden die Maximen eine Fort- und Umbildung des Rechts hin zu einem System abstrakt-genereller Prinzipien wiederspiegeln. Zumindest vormoderne Juristen scheinen die Maximen jedoch nicht in dieser Weise aufgefasst zu haben: Maximen waren nach ihrem Verständnis nicht „produktiv“, sondern deskriptiv – es ging darum, das Wissen einer Schule zu analysieren und stimmig zu ordnen, nicht jedoch um die Schaffung eines neuen, eigenständigen Instruments der Rechtsfindung (Oberauer 2018b, 161–165). Damit war der Zweck von Maximen wohl in erster Linie ein didaktischer, wissensorganisatorischer. Andererseits bedeutet dies zugleich, dass Maximen die Aufbereitung und Weitergabe juristischen Wissens maßgeblich strukturierten, und man muss davon ausgehen, dass sich dies mittelbar auch auf die Rechtsfortbildung auswirkte – unabhängig davon, welche epistemologische Funktion die Hermeneutiker den Maximen explizit zusprachen. Im modernen Rechtsdiskurs schließlich wird mit großer Regelmäßigkeit auf Maximen verwiesen, insbesondere, wenn es um die Erschließung neuartiger Gegenstandsbereiche geht, wie etwa bioethischer Fragen. Eine systematische Untersuchung würde möglicherweise zu dem Schluss führen, dass Maximen heute jedenfalls faktisch die Funktion einer eigenständigen Rechtsquelle angenommen haben.

4.6. Distinktionen (furūq), Rätsel (alġāz) und Rechtskniffe (ḥiyal)

Mit der Maximenliteratur verwandt ist ein Genre, das sog. furūq (Sg. farq, wörtl. „Unterschiede“) zum Gegenstand hat und sich annäherungsweise als „Distinktionenliteratur“ bezeichnen ließe (Saba 2017; Heinrichs 2000). Furūq sind feine Unterschiede zwischen Fällen bzw. doktrinären Problemstellungen, die zur Folge haben, dass die Fälle entgegen dem primären Anschein unterschiedlich zu bewerten sind. Damit sind Distinktionen in gewisser Hinsicht das inverse Gegenstück zu Maximen. Während letztere die gemeinsame Logik von Sachverhalten herausarbeiten und also Verstreutes bündeln, zielen die Distinktionen gerade auf eine Ausdifferenzierung.

Die Distinktionenliteratur ist noch wenig erforscht und so lassen sich über ihre Funktion vorerst nur zurückhaltende Annahmen formulieren. Ähnlich wie bei Maximenwerken liegt auch in der Distinktionsliteratur der Fokus auf dem tradierten Material der Rechtsschule, und eine Funktion könnte auch hier gewesen sein, die innere Logik dieses Materials herauszuarbeiten. Erneut liegt hier die Annahme nahe, dass damit unter anderem didaktische Zwecke verfolgt wurden: Die Beschäftigung mit Distinktionen schult die Aufmerksamkeit für Wesentliches und fördert ein „verstehendes Lernen“. Zugleich haftet der Distinktionenliteratur bisweilen etwas Spielerisches an – eine gewisse Freude daran, besonders subtilen Unterschieden nachzuspüren: Wenn A den B bevollmächtigt, die C mit ihm zu verheiraten, und B dann zu C sagt „ich heirate dich“, dann sind B und C vermählt. Bevollmächtigt A den B aber, für ihn bei C eine Ware zu kaufen und sagt der B dann zu C „ich kaufe diese Ware“, dann gehört sie dem A. Der Unterschied ist, dass „heiraten“ (tazawwaǧa) und „vermählen“ (zawwaǧa) unterschiedliche Begriffe sind, so dass das Handeln des B im ersten Fall gar nicht als Erfüllung seines Mandats („vermähle!“) verstanden werden kann, während im zweiten Fall sein Mandat („kaufe!“) und seine Handlung („ich kaufe“) als kongruent bewertet werden können und deswegen auch so gedeutet werden müssen (Karābīsī, Furūq, II, 232).

Der didaktisch-spielerische Charakter, den die „Distinktionen“ bisweilen aufweisen, rückt sie zugleich in die Nähe eines weiteren literarischen Phänomens, nämlich juristischer Rätsel (alġāz, Sg. luġz; zu Rätseln vgl. Keegan 2019; Saba 2017, 222-227). Eine Verwandtschaft zwischen beiden Phänomenen besteht auch insofern, als Rätsel oft mit Distinktionen operieren, die man eben kennen muss, um die Knobelei zu lösen. Bei den Rätseln freilich ist das Spielerische Programm, und die Fälle sind eindeutig konstruiert: Wie kann es sein, dass die Mutter und die beiden Schwestern eines Mannes allesamt mit demselben Mann verheiratet sind, und zwar obwohl nach islamischem Recht die Ehefrauen eines Mannes keine enge Verwandtschaft untereinander aufweisen dürfen? (vgl. an-Nīsābūrī in Schacht 1926, 522). Und wie kann es dazu kommen, dass eine Frau an einem einzigen Tag Brautgaben von drei verschiedenen Männern erhält? (Ibn Nuǧaym, Ašbāh, 396). Solche Knobeleien löst nur, wer bestens im Recht geschult ist, und selbst einer, der sich die Lösung verraten lässt, braucht einiges Wissen, sie zu verstehen.

Eine Nähe zu den Distinktionen weist auch das Phänomen der „Rechtskniffe“ (ḥiyal, Sg. ḥīla) auf. Ein Rechtskniff ist die Ausnutzung formaljuristischer Zusammenhänge zur Erreichung eines Ziels, das augenscheinlich der Intention des Gesetzes widerspricht. Solche Rechtskniffe basieren oft auf Distinktionen, so dass die Grenze zwischen beiden Phänomenen bisweilen verschwimmt. In der Distinktionensammlung des Naǧm ad-Dīn an-Nīsābūrī (gest. nach 944) findet man etwa die folgende Unterscheidung: Wenn einer Frau von Zeugen unehelicher Verkehr angelastet wird, so bewahrt es sie nicht vor Strafe, wenn sie angibt, der fragliche Mann habe sie gezwungen, denn die Zeugen müssten diesen Zwang bestätigen. Gibt sie aber an, sie sei mit dem Mann verheiratet, können weder sie noch der Mann bestraft werden, denn die Ehe könnte schon vor dem bezeugten Akt geschlossen worden sein (Nīsābūrī in Schacht 1926, 521). Formal ist dies eine Distinktion, zugleich aber eine Anleitung, mit welchem Kniff die Frau ihrer misslichen Lage entrinnen kann.

Die Haltung der Juristen zu Rechtskniffen war ambivalent. Viele betrachteten sie als verwerflich, andere wiederum differenzierten zwischen ethisch akzeptablen Kniffen und solchen, die zu missbilligen seien (Schacht 1964, 81 f.; Rebstock 1999, 249, 259 f.). Zu dieser Ambivalenz trug wohl auch bei, dass Kniffe sehr häufig zur Vermeidung von Härten entwickelt wurden oder dazu beitrugen, die Kluft zwischen doktrinären Anforderungen und denen der Praxis zu überbrücken. Zahlreiche ḥiyal dienen etwa dazu, trotz des islamischen Zinsverbotes Wege zu schaffen, Kapital gewinnbringend zu investieren und somit einen Kreditmarkt zu ermöglichen. Rechtskniffe konnten also auch Lösungen angesichts ethisch-rechtlicher Dilemmata sein, und eben dies schwingt in der alternativen Bezeichnung der Kniffe als „Auswege“ (maḫāriǧ, Sg. maḫraǧ) wieder, die sich vornehmlich bei ḥanafitischen Autoren findet (Horii 2002, 318-325).

Aus historischen Quellen lässt sich nachweisen, dass Rechtskniffe auch in der Praxis einen wichtigen Platz einnahmen, nicht nur im bereits angesprochenen Kreditwesen, sondern auch etwa im Ehe- und Scheidungsrecht, wo mit Hilfe von Kniffen einige rechtlichen Benachteiligungen von Frauen abgemildert wurden (Rapoport 2005, 56-59, 75 f.). Auch im Prozessrecht spielten sie eine Rolle, wenn etwa mit fingierten Rechtsstreitigkeiten operiert wurde, um auf diesem Wege Eigentumstitel durch ein richterliches Urteil bestätigen und dokumentieren zu lassen (Oberauer 2021). Andere Kniffe dagegen erscheinen eher wie intellektuelle Spielereien und ähneln darin wiederum den Rätseln (vgl. etwa Rebstock 1999, 245, 248).

Maximen, Distinktionen, Rätsel und Rechtskniffe sind insofern Phänomene, die sich teilweise überlagern. Das drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass auch ihre literarische Artikulation nicht in klar voneinander abgrenzbaren Genres erfolgte. Typischer Weise erfolgt sie in Form von Sammlungen, und manche davon widmen sich mehreren dieser vier Phänomene, enthalten also etwa einen Abschnitt zu Maximen, einen zu Distinktionen, etc. So enthält etwa die oben genannte Sammlung des an-Nīsābūrī neben Distinktionen auch Rechtskniffe und Rätsel (die dort allerdings als masāʾil mutašābiha bezeichnet werden, vgl. Nīsābūrī in Schacht 1926, 522, 524), dasselbe gilt für die Sammlung al-Ašbāh wan-naẓāʾir des Ibn Nuǧaym (gest. 1563).

4.7. Rechtshermeneutische und institutionentheoretische Metadiskurse: uṣūl al-fiqh, adab al-muftī, adab al-qāḍī

Zu den bisher angeführten Genres treten noch solche hinzu, die juristischen Metadiskursen gewidmet sind. Dazu gehören in erster Linie Werke über Rechtshermeneutik (uṣūl al-fiqh, wörtl. „Wurzeln/Grundlagen der Rechtserkenntnis“), aber auch Texte, die ihren Titeln nach den „adab“ (in etwa: Etikette, Benehmen) von Richtern oder Respondenten zum Gegenstand haben. Anders als es die Titel suggerieren, enthalten diese Werke aber nicht nur soziale Verhaltensregeln für Richter und Respondenten, sondern auch prozessrechtliche Normen und Regeln für die personelle Besetzung von Gerichten, und sie behandeln zum Teil auch hermeneutische Fragen. Die oben beschriebenen Kanonisierungsprozesse etwa werden gerade auch in diesen „Etiketten-Werken“ greifbar, denn die Verpflichtung von Respondenten und Richtern, sich an bestimmten, autoritativen Texten zu orientieren, wird in eben solchen Texten explizit thematisiert. Im Gegensatz zu Werken der eigentlichen Rechtshermeneutik (usūl al-fiqh) sind diese „Etiketten-Werke“ als Genre nicht immer klar von der Kommentar- und Auszugsliteratur abgegrenzt, denn sie entstanden zwar häufig als eigenständige Texte, sind aber oft auch als Kapitel in Gesamtdarstellungen des Rechts integriert und waren somit Teil des „Standardtextes“.

Zu beachten ist, dass rechtshermeneutische Texte oder Etiketten-Werke sich von den oben behandelten Genres zunächst nur thematisch abgrenzen lassen, nicht unbedingt aber in Form und Funktion. So sind etwa Texte, die thematisch dem adab al-qāḍī-Genre zuzuordnen sind, in formaler Hinsicht bisweilen Kommentare oder Auszüge (vgl. das Šarḥ Adab al-qāḍī des al-Ǧaṣṣāṣ und das gleichnamige Werk des Ibn Māza al-Buḫārī, die beide einen Text des al-Ḫaṣṣāf kommentieren), und rechtshermeneutische Werke sind zum Teil als Maximen-Sammlungen gestaltet (vgl. al-Qawāʿid des Ibn al-Laḫḫām). Die spezifischen Funktionen verschiedener Textformen, wie etwa die Herstellung von Intertextualität oder didaktische Effizienz, werden also über thematisch-sachliche Grenzen hinweg genutzt. Sie sind dabei auch nicht auf das Feld des Rechts begrenzt: Auszüge und Kommentare spielen etwa auch in der arabischen Sprachwissenschaft eine tragende Rolle, und dasselbe gilt für „Distinktionen“ (furūq), die dort der Erfassung phonologischer oder lexikographischer Feinheiten dienen (Saba 2017, 84–118). Ursprünglich entstammen sie aber wohl der Medizin, genauer: der Differenzialdiagnostik (Saba 2017, 69–84). Auf der Ebene der Textformen haben wir es also möglicherweise mit Phänomenen zu tun, die einzelne Segmente der arabisch-islamischen Wissenschaften überschreiten, und es bleibt zu untersuchen, inwieweit sie in unterschiedlichen Wissenschaftsfeldern ähnliche Funktionen erfüllten.

Nachweise

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Abbildung

Handschrift des Werkes Tuḥfat al-muḥtāǧ des Ibn Ḥaǧar al-Haytamī (gest. 1567), Kommentar zum Minhāǧ aṭ-ṭālibīn des an-Nawawī (gest. 1277), mit anonymen Randglossen. Sammlung des Instituts für Arabistik und Islamwissenschaft der WWU Münster https://www.uni-muenster.de/ArabistikIslam/sammlung/index.html. Foto © Monika Springberg.

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Zitiervorschlag

Norbert Oberauer (2022): Islamisches Recht, in: Thomas Gutmann, Eberhard Ortland, Klaus Stierstorfer (Hgg.), Enzyklopädie Recht und Literatur,
doi: 10.17879/12009583698
URL: https://lawandliterature.eu/index.php/de/inhalt?view=article&id=35&catid=11

 

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